Tausendundein Film. Götz bringt uns besondere Filme nah – tausendundeinmal. Und pünktlich zu Alfred Hitchcocks 111. Geburtstag startete Götz seine neue Serie. Heute beendet Götz den Vierteiler rund um Hitchcocks „Suspicion“ und wir freuen uns schon auf die nächste Folge von „TausendundeinFilm“.
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In den ersten zehn Jahren, die Hitchcock in Hollywood verbringt, kehrt er immer wieder ins britische Milieu zurück. Der erste Film für David O. Selznick, in dessen Studios, wo kurz zuvor „Vom Winde verweht“ entstanden war, gedreht, ist sogar noch, wie Hitchcock selbst sagt, ein britischer Film. Würde man aus „Rebecca“ die schauerromantischen, melodramatischen Elemente, den vermeintlichen Mord und Mrs. Danvers streichen, bliebe immer noch eine Liebesgeschichte von stupender psychologischer Wahrhaftigkeit, die auf eigenen Füßen stehen könnte, was vor allem auch den beiden Hauptdarstellern Laurence Olivier und Joan Fontaine zu verdanken ist, die völlig eins sind mit ihren Charakteren. Ist uns das nicht sehr vertraut, was die Liebe der beiden strapaziert? Lassen wir die Fallhöhe vom reichen Adligen zur armen Waise, die sich als Gesellschafterin von einem weiblichen „Drachen“ schikanieren lassen muss, beiseite, diesen immensen sozialen Unterschied. Es braucht ihn nicht, um zwischen Liebenden dieses Problem entstehen zu lassen, das hier vorliegt: sie liebt ihn, er liebt sie, doch sie glaubt ihm nicht, dass er sie so liebt wie sie ist.
Das ist die Story von „Rebecca“: Maxim de Winter liebt seine namenlos bleibende Frau (die uns die Geschichte erzählt), so wie sie ist, ihr Wesen, nicht ihre Erscheinung. Er achtet nicht auf ihre langweilige, biedere Kleidung. Als sie ihn einmal fragt, ob ihm denn ihre Frisur gefalle, lacht er nur auf, begreift die Motivation ihrer Frage gar nicht. Dennoch ist dies kein Zeichen von Gleichgültig- oder Oberflächlichkeit, sondern von Liebe. Ihr Charakter, ihr Naturell berühren ihn mehr als ihr Aussehen. Zunächst genügt ihr das auch, doch dann gerät sie immer mehr in eine Konkurrenzsituation zu der übermächtigen, unsichtbar gegenwärtigen Rebecca. Bei Rebecca beruhte alle Schönheit auf äußerlicher Attraktivität. Mrs. Danvers zeigt der neuen Herrin von Manderlay die konservierten Räumlichkeiten ihrer Vorgängerin, das Schlafzimmer, den erotischen Luxus: Schminktisch, Parfumflaschen, Haarbürsten, Schubladen voller glänzender Wäsche, ein durchsichtiges Nachtkleid. Wie kann Maxim mich lieben, wenn er zuvor Rebecca geliebt hat, der Vergleich mit Rebecca erdrückt sie, wie von Mrs. Danvers beabsichtigt. Und sie verkennt, dass Maxim Rebecca zwar sexuell verfallen war, sie aber gar nicht wahrhaftig liebte, und Rebecca war ihrerseits unfähig zur Liebe, empfing bloß ihre Liebhaber in einem Bootshaus am Strand.
Natürlich will auch die Heldin als begehrenswert von Maxim wahrgenommen werden, stellt sich dabei aber naiv und ungeschickt an, und erntet nur seinen Zorn. Nicht nur, dass er nicht an Rebecca erinnert werden will, er will auch nicht, dass sich seine Frau selbst verleugnet: zwei Menschen, die sich selbst verlieren und nur durch das Bestehen von Gefahren wieder finden, auch hier ist das der tragende Balken der Handlung.
Die berühmte Szene um den Heiratsantrag im Eröffnungsteil des Films kündigt schon die Diskrepanz an, die ihr Verhältnis später in Spannung versetzen wird: er hat ihr soeben spontan, beiläufig den Antrag gemacht (ruft ihr, während er sich im Bad die Krawatte bindet zu, ob sie seine Frau werden wolle), sie wähnt sich in einem Traum, sinkt auf einen Stuhl, steht, die Unhöflichkeit registrierend, wieder auf, er kommt aus dem Bad, schiebt ihr so lässig wie aufmerksam den Stuhl wieder hin, damit sie ihm beim Frühstück Gesellschaft leisten kann. Sie gesteht ihm, was er längst weiß, dass sie ihn sehr liebe. Er ist einen Augenblick lang sehr gerührt, wischt das ihm ungewohnte Gefühl der Verlegenheit aber rasch beiseite, indem er ihr kumpelhaft mehrfach auf die Hand patscht und gut gelaunt meint: „Dann ist ja alles geklärt, dann können wir ja endlich frühstücken.“ Sie, reflexartig, in ihrem Dienersein verharrend, gießt ihm Kaffee ein, er, dem es das Selbstverständlichste ist, bedient zu werden, sagt, so als weise er sie als neues Dienstmädchen ein: „Zwei Stück Zucker, auch im Tee.“
Im Laufe des Films werden sie sich langsam aus ihrem Klassenbewusstsein fort- und aufeinander zu bewegen. In einer Szene gegen Ende des Films sitzen sie im Fonds eines Wagens nebeneinander und man nimmt sie nun erstmals als gleichberechtigte Partner war, einfach dadurch wie Hitchcock sie im Raum anordnet. Das kindlich-verschüchterte ist aus Joan Fontaines Erscheinung gewichen, sie wirkt nun fraulich; auch in der Kleidung hat sie ihren Stil gefunden. Und Maxim hat seine anfängliche Überlegenheit eingebüßt. Hitchcock vermag diese Entwicklungen auf dezente Weise sichtbar zu machen, sie sind kein Zufall, sondern Ergebnis kalkulierenden Kunstwillens. In der Gefahr, in der er sich befindet, verliert Maxim nicht seine Würde, aber den Snobismus.
Gewiss ist „Under Capricorn“ von den drei Ehefilmen der vierziger Jahre der schwächste, doch er fasziniert durch eine in Hitchcocks Werk seltene poetisch-melancholische Stimmung; es ist ein Film wie ein verschwommener Traum. Und er zeigt wieder den Selbstverlust einen Menschen, eine psychisch kranke Frau, ein Thema, das zu jener Zeit kein anderer Regisseur so eindringlich anpackte. Wer von Hitchcocks Vorliebe für äußerlich kühle, aber innerlich glühende Blondinen spricht, darf nicht vergessen, dass er noch viele weitere Frauenbilder entwarf, Frauenrollen aus Kinoklischees befreite und vielleicht im Hollywood-Kino der vierziger Jahre neben George Cukor der einzige Regisseur war, der Frauen auch außerhalb der Rollenmuster der Schwarzen Serie zu besetzen vermochte. Hitchcock lässt das von Joseph Cotten und Ingrid Bergman gespielte Paar alle Anfechtungen überstehen.
Auch hier, wie in „Rebecca“ hat man den Eindruck, dass es Hitchcock vor allem am Herzen lag, das Verhältnis zwischen Mann und Frau zu analysieren. Viele von Hitchcocks Filmen erzielen ihre größte, langlebigste Spannung aus diesem Interesse ihres Regisseurs und nicht aus den Thriller- und Krimi-Elementen. Und das ist auch der Grund, warum man sich an fast allen Hitchcock-Filmen nicht satt sehen kann. Zwischen Mann und Frau verläuft das Band, das Hitchcocks Filme zusammenhält und uns fesselt, ein Band, dessen Elastizität und Kraft niemals nachlässt. Hitchcock erkannte, dass sich die Menschen für nichts so sehr interessieren wie für die Beziehungen der beiden Geschlechter, die er in allen Spielarten zur Aufführung bringt. Und diese Beziehungen sind bei ihm geprägt von Misstrauen, Schuldgefühlen, Vorurteilen, Missverständnissen, Illusionen, Obsessionen und Zweifeln, vor allem Zweifeln, aber auch von Treue und tiefer Zuneigung, die alle Bewährungsproben übersteht.
Zurück zu „Verdacht“: es ist ein Film des Übergangs; er verbindet die unreflektierte Leichthändigkeit der englischen Filme mit der kalkulierenden Professionalität des Hollywood-Studiosystems, den tendenziell positiven Geist von Hitchcocks Frühwerk mit dem tendenziell negativen Geist der nach dem Krieg entstandenen Filme, das offene Konzept des europäischen Kinos mit dem amerikanischen Konzept, auf Schablonen und Bausteine zu vertrauen. Die Erzählung fließt in „Verdacht“ so ökonomisch und klar dahin wie es selbst Hitchcock kaum ein zweites Mal so vollendet gelang; vielleicht lässt sich der Film darin nur mit dem fünf Jahre später gedrehten „Berüchtigt“ vergleichen. Die „äußerste Einfachheit“ und „äußerste Stilisierung“, die Truffaut an diesem Film lobt, ist auch eine Qualität von „Verdacht“. Dass Hitchcock „große Schwierigkeiten“ mit dem Film hatte, weil die Produzenten sich an der ihnen allzu zwielichtigen Rolle Cary Grants stießen, und dann „nur bedingt“ zufrieden mit dem Ergebnis war, soll uns nicht hindern, ihn wiederholt und mit nicht nachlassendem Vergnügen anzuschauen.