Hendrik stöbert Jerome Bixby’s <The Man from Earth> auf.
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I.
Die Frage, die sich der durchschnittliche Betrachter der Frontseite der Hülle dieser DVD wohl stellen wird, lautet: Wer bitte ist Jerome Bixby, und was hat er mit den Serienmarkenzeichen Star Trek und Twilight Zone zu tun?
Antworttelegramm: Der 1923 geborene Kalifornier Jerome Bixby war Drehbuchautor sowohl für die Mysteryserie Twilight Zone als auch für diverse Episoden der originalen Star Trek-Serie (u.a. der berühmten Paralleluniversenfolge Mirror, Mirror), ebenso Drehbuchautor des SF-Filmklassikers Die Phantastische Reise. Das Script zu Man from Earth stellte Bixby kurz vor seinem Tod im Jahre 1998 noch selbst fertig.
Die Frage, die sich der Betrachter der Rückseite der Hülle dieser DVD wohl stellen wird, lautet: Wenn der Film bei seinem Erscheinen 2008 immerhin doch diverse gute Kritiken, Preise und Nominierungen eingeheimst hat, warum, zum Teufel, kenne ich das Ding nicht?
Antworttelegramm: Weil intelligente SF-Filme, die weder mit Laserstrahlen, noch mit Raumschiffen noch mit CGI-Monstern winken können, es eigentlich immer schon sehr schwer gehabt haben, überhaupt wahrgenommen zu werden. In diese Tradition fällt, gemeinsam z.B. mit Stalker, The Handmaid’s Tale oder K-Pax, nun auch The Man from Earth.
II.
Es ist ja nun mal so: Es gibt SF für’s Auge und SF für’s Hirn, und beides hat seine Daseinsberechtigung. Manchmal will und kann ein Film in beiden Aspekten überzeugen, manchmal nur in einem (und vom Rest wird nicht gesprochen). Je mehr allerdings im Einzelfall auf die Befriedigung der einen Ebene verzichtet wird, desto größer ist die Erwartung bezüglich der anderen Ebene, und diese Erwartung will erfüllt werden, wenn das Ergebnis ein zufriedener SF-Freund sein soll – das dürfte wohl eine der wenigen universell gültigen Regeln des Genres sein.
The Man from Earth nun bietet dem Auge rein gar nichts außer einigen Charakteren, die in einem halb leergeräumten Raum sitzen und reden, und karger geht es kaum. Welche SF für’s Hirn wird dem entgegengesetzt?
Hochschuldozent John Oldman ist dabei, sich von seinen Kollegen und Freunden zu verabschieden, weil er nach zehn Jahren seine Stelle aufgibt und fortzieht. Doch unvermittelt beginnt er, sie mit der Vorstellung zu konfrontieren, er sei ungefähr 14.000 Jahre alt und aus einem Grund, den er selbst nicht kenne, offenbar unsterblich.
Die Anwesenden – darunter auch ein Biologe, ein Archäologe, ein Psychologe und eine sehr bibelfeste Christin – reagieren sehr unterschiedlich auf diese Eröffnung, betrachten das Ganze zunächst als eine merkwürdige Scharade und beginnen, diese Vorstellung mit ihren Fragen auf die Probe zu stellen … aber: wie überprüft man so eine Behauptung? Was an Fakten bekannt ist, kann ja auch der Behauptende irgendwoher kennen, und was nicht bekannt ist, lässt sich nicht prüfen. Läuft nicht zuletzt alles doch wieder auf eine Glaubensfrage hinaus, selbst unter Wisenschaftlern?
Wie lebt denn ein normaler Mensch – kein Genie, kein Supermann, nur eben alterungsbefreit – unter uns anderen? Wie ist das, wenn man seine Freunde und Partner altern sieht? Wie lange kann man an einem Ort bleiben, bevor man weiterziehen muss, bevor jemand merkt, dass hier „etwas nicht stimmt“? Hat Oldman Spuren in der Geschichte hinterlassen? Und ist sein Leben für ihn ein Fluch oder ein Segen? Wie so oft bei solchen Fragen ist sehr rasch nicht mehr eindeutig, wer eigentlich wessen Weltsicht in Frage stellt.
III.
Ein Autor für TV-Serien muss sich, so vermute ich, manchmal ein wenig fühlen wie ein Stadtbusfahrer: er hat ganz bestimmte, meist sehr eng gesetzte Vorgaben für seine Route, ganz bestimmte Anlaufstellen und einen zeitlich klar gesetzten Rahmen: Nach 1min 30sec muss ein Einstiegscliffhanger kommen, hinter dem Platz für den Vorspann und die erste Werbepause ist, nach spätestens 3min muss entweder jemand mindestens halbnackt oder tot sein (oder beides), nach 6min sind alle relevanten Gegenspieler eingeführt, nach 17min ist eine Sollbruchstelle für die nächste Werbepause vorzusehen, und so fort. Nach 40min muss die Endhaltestelle erreicht sein.
Und so wie ich mir vorstelle, dass ein Stadtbusfahrer ab und an davon träumen muss, einfach mal die festverwinkelte Route vergessen und geradeaus Gas geben zu dürfen, so vermute ich in den Schreibtischschubladen vieler guter Serienautoren Ideen, Konzepte und Dialoge, die zwar in keines der aktuellen Serienkonzepte hineinpassen, aber ihnen einfach zu reizvoll erscheinen, um nicht weiterverfolgt zu werden.
Genau so scheint The Man from Earth entstanden zu sein. Ich halte es für einen Glücksfall, dass man sich – wenn auch posthum – entschlossen hat, Bixby hier die Gelegenheit zu geben, eine hochspannende wissenschaftliche Hypothese filmisch auszuleben: nicht in wenige Sätze gepresst, die am Schutzzaun einer Spannungskurve im Vorbeirasen aufgeschnappt werden können, sondern als spürbar genüsslich ausgelebtes Kammerspiel mit sehr zurückgenommener, dennoch vorhandener Theatralik.
Fast scheint es eher ein filmgewordenes, ursprünglich internes Liebhaberprojekt zu sein, nicht zuletzt weil der ausführende Produzent Emerson Bixby heisst und sich als der älteste Sohn des Ideengebers erweist. Zumindest ein paar der mitwirkenden Schauspieler kennt man zum Teil aus dem Star Trek-Universum, an dessen Urknall Bixby mitgewirkt hat. John Billingsley, der hier den Biologen gibt, gab auch schon den Dr. Phlox auf Archers Enterprise, und Tony Todd und Richard Riehle waren ebenfalls dort Nebengesichter, wovon im (leider ansonsten etwas mageren) Bonusmaterial berichtet wird.
IV.
Natürlich ist das Ganze im Ergebnis einer engagierten Diskussionsrunde etwas näher als einem Spielfilm. Aber inmitten der Bildschirminszenierungen, die eher purer Budenzauber als überhaupt Spielfilm sind, weil außer hirntoter Action rein gar nichts passiert, und von denen speziell das SF-Genre eine Unzahl hervorgebracht hat, finde ich das durchaus mal sehr anregend. The Man from Earth befindet sich, kurz gesagt, von Independence Day aus gesehen, in so ziemlich allen denkbaren Aspekten direkt am entgegengesetztestmöglichen Ende des SF-Universums (98% Hirn und 2% Auge vs. 2% Hirn und 98% Auge). Und ich, der ich mich gerne mal in den Randzonen herumtreibe, freue mich über diese Zufallsentdeckung.
Nachbemerkung: Und nur ZU gern wüsste ich, auf welchen Wegen ausgerechnet DIESER Film eine FSK-Freigabe „ab 16“ erhalten hat. Das ist, mit Verlaub, entweder schlicht eine weitere von vielen FSK-Festsetzungslachnummern oder aber eine Schutzmaßnahme, damit kein fortschrittlicher Pädagoge auf den Gedanken kommt, diesen hochintelligenten Film im Unterricht zu zeigen und damit womöglich kritisches Denken zu fördern.
„Science fiction is an experience outside the box“,
sagt einer der Schauspieler im beigefügten Kurzinterview. Naja: Einladungen zu Blicken über den Schachtelrand unseres Schulwissens hinaus hat man ja immer schon gerne erst ins ferne Vakuum geparkt und dann den Schlüssel zur Denkrakete im Pult eingeschlossen.
Genau deswegen & sowieso: Meine Guckempfehlung an alle Gehirnbenutzer.
Hendrik Schulthe für SchönerDenken