Utopie des Stillstands

(c) FreeFoto.comDas Szenario ist bekannt, Klimaerwärmung, Gentechnik, Atomenergie – die Welt ändert sich. Ein Wandel, der bei vielen Menschen Besorgnis hervorruft. Naturwissenschaft und Technik sind aus dem Schatten des rein Nützlichen herausgetreten und sind zum Schrittmacher unserer Zivilisation geworden. Das nostalgische Bild der Technik als dienstbarer Helfer des Menschen scheint nicht mehr stimmig. Moderne Technik wird vielschichtiger, detailreicher und damit unübersichtlicher. Die Fragen: Verselbständigt sich Technik? Sind wir noch Herr unserer Erfindungen? stellt sich jedoch nicht erst seit heute.

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Die Umweltbewegungen der siebziger und achtziger Jahre, ihre Anti-Atom-Demonstrationen wiesen schon auf ein Unbehagen gegenüber moderner Technologie und deren Kontrollierbarkeit hin. Ein gemeinsamer Ausgangspunkt dieser Proteste bildeten der im Jahre 1980 erschienene Bericht „Global 2000“ sowie die bereits 1972 veröffentlichte Studie des Club of Rome „The Limits of Growth“. Die Perspektive dieser Untersuchungen waren besorgniserregend. Ihre Botschaft: Nur durch ein schnelles Umsteuern von Wirtschaft und Gesellschaft lässt sich der Kollaps der Moderne verhindern und das Leben auf diesem Planeten bewahren. Mit dem Aufruf zum Überleben verbunden war auch ein ethischer Appell.

Vor allem Kirchen, aber auch Philosophen suchten jenseits der existenziellen Notwendigkeit nach einer moralischen Begründungen für den Schutz irdischen Lebens. Entgegen der christlichen Schöpfungslehre suchte die Philosophie nach einer diesseitigen Ethik, aus der sich eine Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur ableiten lässt. Mit seinem 1979 erschienen Buch „Prinzip Verantwortung“ hat sich der Naturphilosoph Hans Jonas an dieser Diskussion beteiligt.

Jonas tritt dem von Ernst Bloch formulierten „Prinzip Hoffnung“ entgegen, in dem er den marxistischen Fortschrittsglauben ins Reich der Utopie verbannt. An die Stelle einer planbaren, technlogisch beherrbarschen Zukunft setzt Jonas einen von Naturwissenschaft und Technik mehr und mehr überforderten Menschen. Die Fähigkeiten dieses Menschen die Welt zu verändern und sein Vermögen diesen Prozess zu kontrollieren, schwindet mit der Entwicklung immer komplexerer Technologien. Bestenfalls noch in der Lage kurzfristige Wirkungen zu beurteilen, versagt er im Hinblick auf die Fernwirkung.

Was in der Vergangenheit unproblematisch war, trägt nach Jonas Ansicht in der Gegenwart die Züge der Katastrophe in sich. Dank seines enormen Handlungspotenzials wird der Mensch für Jonas zum globalen Sicherheitsrisiko. Die einzige Möglichkeit dieses Risiko zu begrenzen, stellt für Jonas die Formulierung eines verbindlichen Verantwortungskodexes dar. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das menschliche Handeln. Grundlage von Jonas Verantwortungsprinzipien ist der naturgegebene Auftrag an den Menschen die Art zu erhalten. Die Lebensbedingung qualitativ zu erhöhen ist demgegenüber sekundär. Oder anders ausgedrückt: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Damit aber erweitert Jonas den traditionellen Ethik-Begriff. Ursprünglich auf zwischenmenschliche Handlungen beschränkt und mit dem Auftrag die menschliche Gesellschaft zu erhalten, dehnt Jonas nun die Verantwortung des Menschen auf die Natur aus. Die Pflicht, die den Menschen aus dieser Verantwortung erwächst, stellt die Natur in seine Obhut. Gleichzeitig ordnet er die menschlichen Entwicklungsmöglichkeiten diesem Ziel unter. Die Begründung für diese Unterordnung liegt für Jonas in der Heuristik der Furcht. Einer Erkenntnis, die aus der Unkalkulierbarkeit menschlicher Technik und der totalen Verantwortung gegenüber der Natur, die Vermeidung aller möglichen Risiken ableitet.

Hans Jonas, Prinzip VerantwortungDie Suche nach der Ethik der technologischen Zivilisation, führt Hans Jonas zur Formulierung einer totalen Verantwortung, die den Menschen auf das technisch Notwendige beschränkt. Dies ist sowohl aus naturwissenschaftlichen als auch philosophischen Gründen problematisch. So setzt zum Beispiel das Postulat einer totalen Verantwortung des einen, die totale Unmündigkeit und damit die totale Unterordnung des anderen voraus. Jonas scheint hier bei der Rollenverteilung unentschieden. Einerseits folgt der von Jonas entwickelten Verantwortungsethik eine hierarchische Unterordnung der Natur unter den Menschen.

Zum anderen erscheint der Mensch als bedrohte Spezies von der Toleranz der Natur gegenüber seinem Handeln abhängig zu sein. Ist die Trennung zwischen Mensch und Natur an sich schon problematisch, so wird dieser Umstand durch die Annahme einer zielgerichteten Evolution weiter zugespitzt. Der Mensch, wenn schon nicht mehr „Krone der Schöpfung“, wird zum überlegenen Endprodukt einer evolutionären Testreihe mit der Lizenz zum ethischen Handeln. Eine aus Sicht der Naturwissenschaft zumindest fragwürdige These. Überhaupt nimmt die philosophische Auseinandersetzung mit dem Positivismus nur einen geringen Raum bei Jonas ein.

Zwar wendet er sich in seiner Kritik gegen Francis Bacon, den Urvater der modernen Wissenschaften, verbleibt dabei jedoch bei seiner metaphysischen Ausgangsposition. Statt des relativierenden Zufalls bleibt für Jonas die ethische Bestimmung die conditio humana, die Grundlage menschlicher Existenz. Ebenso schwierig ist die beinahe kulturpessimistische Einschätzung naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Forschung und Technik erhöhen nach Jonas die Wahrscheinlichkeit der „Apokalypse“ und kreieren eine Utopie des Fortschritts. Abgesehen von der Tatsache, dass der Wert der Technik durch ihre Nutzung definiert wird, kommt Jonas Aufruf zur Bescheidenheit einem Denkverbot gefährlich nahe. Mit seinem Versuch Erkenntnis ethisch zu reglementieren, tauscht Jonas die „Utopie des Fortschritts“ gegen die des Stillstands aus.

Hans Jonas
Das Prinzip Verantwortung
Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation

Suhrkamp
ISBN 3-518-37585-7
10 Euro

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