Korfu – Meerjungfrau in der Midlife Crisis (1)

Korfuse Reisenotizen eines gerade dem Flugzeug Entstiegenen – erster Teil

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1. „Bis auf die Hakennase eigentlich ganz gut getroffen …“
Als die Korfioten auf den Gedanken kamen, in der Form ihrer Insel die Gestalt einer Meerjungfrau erkennen zu wollen, übersahen sie dabei geflissentlich, dass die Inselhauptstadt Kerkyra dadurch anatomisch eher rückwärtig-mittig plaziert wird und sich schon auf diesem Wege als allerwertester touristischer Anlaufpunkt erweist. Aber denken wir doch erst einmal lieber nicht so genau darüber nach, wo ganz exakt bei dieser Meerjungfrau wir dann auf der einen vorhandenen, ins flache Gewässer einer Bucht im Stadtsüden ragenden Piste gelandet sind, sondern schauen uns erst einmal um.

Oder vielleicht sollten wir uns zu allererst einmal daran erinnern, wo diese griechische Meerjungfrau herumschwimmt, nämlich als nördlichste der größeren Inseln im Ionischen Meer, dort, wo es neben der Spitze des italienischen High Heel in das Adriatische Meer übergeht. Korfu liegt etwas oberhalb der griechischen Festlandgrenze, was dazu führt, dass man beim Betreten des Inselnordostens (also im wehenden Haar besagter Meerjungfrau) ständig im albanischen Mobilfunknetz begrüßt wird. Ist ja auch mal schön.

Foto: Hendrik SchultheDas ca. 60 km lange und bis zu 28 km breite fischige Prachtweib ist größtenteils recht grün und gebirgig. Die höchsten Erhebungen liegen im Norden, nach Süden hin wird es allmählich – in mehr als einer Hinsicht, wie wir herausfanden – dünner und flacher. Ganz an der Südspitze in Kavos wechseln offenbar vor allem jüngere britische Paare Farbe und Aggregatzustand: tagsüber am Strand von Weiß in Braun, und nachts beim Feiern von Braun in Blau. Wir selbst waren ganz am anderen Ende, in der Mitte der Nordküste in Acharavi plaziert, wo man zumindest der nichtendenwollenden Taverna- und Giftshop-Abfolge in kleine Bergdörfer und schattige Olivenbaumhaine entkommen kann.

2. „Meine Damen und Herren, links sehen Sie nun die Ruine einer alten Ölmühle und davor die Ruine eines Ford-Lasters, Baujahr 1962…“
Hier zeigen sich noch die Zugänge zu den inneren Werten der Meerjungfrau, denn – leider – entlang ihrer Fassade, sprich den Küsten, ist sie doch schon reichlich verlebt. Man merkt deutlich, dass Korfu sich schon vor Jahrzehnten vom jungfräulichen Geheimtip verabschiedet hat und dem lukrativen Schmeicheln des Pauschaltourismus erlegen ist. Und das hat seine üblichen Spuren hinterlassen: die Strände sind immer noch schön, aber von der Mietsonnenschirmakne befallen; die Fassaden sind immer noch typisch mediterran, aber weniger idyllisch als die Postkarten, die davor verkauft werden, und zwar genau, weil davor Postkarten verkauft werden; die Olivenbäume und Zypressen prägen immer noch eine einzigartige Landschaft, aber stets liegen leere Plastikflaschen darunter, kurz: das Antlitz der ehemaligen ionischen Inselschönheit hat seine Sorgenfalten und Müllgrübchen bekommen. Letzteres ist wohl nur anteilig dem Tourismus geschuldet, denn die in anderen Bereichen so tüchtigen Griechen scheinen auch für sich selbst die Segnungen des Recyclings noch nicht entdeckt zu haben. Vorteile hat das z.B. wieder für Liebhaber von Autos in verschiedenen Stadien des Zerfalls, denn Kraftfahrzeuge werden auf Korfu anscheinend einfach dort stehen gelassen, wo sie ihren letzten Schnaufer getan haben, wo sie dann den zahlreichen Katzen und Hunden gemütliche Aussichtspunkte bieten.

Überhaupt ist der Verkehr auf Korfu eine spannende Angelegenheit, und die Straßenführung im geographiefreudigen Norden hat etwas ausgesprochen Intestinales. Ich bewundere den Mut eines jeden, der dort freiwillig mit etwas Größerem als einem Opel Corsa unterwegs ist; ich möchte hier nicht mit einem altersschwachen Benz ohne Servolenkung herummäandern. Weil die Insel vor dem Tourismusboom eher arm war, hat man seinerzeit offenbar Festland-Gebrauchtstraßen aufgekauft, und weil diese zu lang waren, wurden die Wege eben etwas gefaltet, damit sie passten. An Kurvenreichtum fehlt es der Dame Korfu jedenfalls nicht.

3. „Eigentlich wollten wir ja nach Paläogastritis…“
Einige der Serpentinen mögen auch schon beim großen Erdbeben 1953 aufgekrempelt worden sein. Das würde zugleich erklären, warum die Karten- und die Straßenrealität zuweilen gehörig voneinander abweichen, immerhin kann nach so einem Gewackel eine Straße ja auch schonmal unvermittelt ins Nachbartal führen, während ihre Schilder darauf beharren, es seien jetzt nur noch 2 km hin zu jenem Ort, den man vor 8 km verlassen hat. Zunächst hielt meine kartenlesende Beifahrerin unsere gelegentliche Desorientierung für ein Problem ihrer kontaktlinsenschadensbedingten Sehstörung an diesem Tag. Ich bemerkte, dass sie immer wieder einen vergewissernden Blick auf die Benennung der Karte warf: Korfu, ja – aber welches?

Nachdem die Karte uns mit unserem Corsa schließlich auf etwas Steiles, Ausgewaschenes ohne jede Wendemöglichkeit gelotst hatte, das ich nur gut angeschnallt in einem Jeep mit großen Rädern wiedersehen möchte, entschieden wir zunächst, dass, falls mein Schatz ihre Ersatzlinse nicht noch finden würde, am nächsten Tag eben ich die Karten lesen sollte, und sie würde fahren. Dann überdachten wir das nochmal, und beschlossen stattdessen, uns einfach irgendwie entspannt durchzuwurschteln („Halt dich mal mehr so rechtsig / linksig.“„O.k.“). Das führte uns zu einigen der schönsten Plätze, und ein zweisames Picknick im duftdurchfluteten Olivenbaumhain ist für mich ohnehin jedem klimatisierten Hotelbuffet vorzuziehen. Danach findet sich eh schnell genug wieder ein Rückweg zu den touristischen Standardetappenzielen.

4. Spannende Ein- und Ausblicke mit dem Baedeker (FSK-Freigabe: 16)
Ich kann ja auch nichts dafür, dass die reizvollsten Punkte der Insel sich nunmal ungefähr an den mutmaßlich erogenen Stellen der metaphorischen Meerjungfrau befinden. Im oberen westlichen Drittel, an der Spitze einer runden Halbinsel befinden sich jedenfalls zwei kleine geographische Vorsprünge, bei denen sogar der seriöse Baedeker unbedingtes Hingucken empfiehlt.

Zum einen ist das die verfallene Küstenfestung Angelokastro, von der aus man einen grandiosen Ausblick genießen kann, zum zweiten ist das die kleine Küstenstadt Palaiokastritsa samt Kloster, die es als einer von drei urbanen Punkten Korfus auf zwei Baedeker-Sterne bringt, was bedeutet: „eine Reise wert / worth a journey“ – und das mit Ausrufezeichen! Die anderen Zwei-Sterne-Stellen sind die Innenstadt von Kerkyra sowie, etwas südlicher, in Richtung Fischschwanz gelegen, das sogenannte Achilleion, eine prunkvolle, reichlich kitschige Villa und der zeitweilige Wunschaltersruhesitz der Elisabeth von Österreich, ein Pilgerort für Sissi-Fans und Gala-Abonnenten. Nun ja, wir fanden eigentlich eher andere Stellen verweilenswert, aber das ist ja bei erogenen Zonen so, das ist alles Geschmackssache, und wer will da meckern?

Ein diesbezüglich etwas unverfänglicheres Ziel ist der höchste Berg der Insel, der Pantokrator, und ich habe nach kurzer Recherche mit Bedauern meine Theorie aufgeben müssen, das sei das griechische Wort für Pantoffelheld. Der Pantokrator ist ca. 900m hoch, völlig kahl und bietet auf seinem Gipfel neben einem wirklich atemberaubenden Lüftchen und Panorama vor allem den interessanten Kontrast eines alten griechisch-orthodoxen Klosters, über dessen kleinem Wandelgarten sich eiffelturmartig der Hauptsendemast der Insel erhebt: das nenne ich mal einen guten Draht zum Herrn haben. Daneben findet sich die übliche Snackbar. „Broadcast, Monastery, Bar & Grill – We Send, Save & Serve“ wäre dafür ein klasse Werbespruch, denn: wo gibt’s die Kombination schon nochmal?

Der zweite Teil folgt in Bälde – Kaliméra und Adió sagt für heute:
Hendrik Schulthe

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