Hendrik schnieft sich durch das Sonnensystem – mit Dava Sobels Die Planeten
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Das einzig Schöne an Erkältungen ist ja, dass man in ihren besseren Momenten ein bißchen verreisen kann. Lesend zwar nur, aber immerhin – einige Schmökerreisen hätte ich (schon aus Zeitgründen) wohl nie unternommen, wenn ich nicht eine Neigung zu Infektionen hätte. Und da ich bekanntermaßen ebenfalls zu chronischer Rezensitis neige, nutze ich die Gelegenheit, Christophers schönen Astronomiebeiträgen eine kleine Buchanempfehlung hinzuzufügen. Denn während meines aktuellen (leider immer noch währenden) grippalen Infektes habe ich gerade mal kurz das Sonnensystem durchquert, und zwar mit Hilfe des Buches Die Planeten der u.s.-amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Dava Sobel.
Sobel leitet ihr Buch mit einem Zitat Carl Sagans ein, der uns als die beneidenswerten Angehörigen der einzigen Generation der Menschheit bezeichnet, die erstmals das Sonnensystem erforschen wird. Das darauffolgende Buch allerdings beweist zunächst einmal, dass diese Erforschung keineswegs die Arbeit nur einer Generation ist, sondern lediglich einen von vielen seit Jahrtausenden und wohl auch noch in Jahrtausenden ständig erweiterten Wissenshorizonten des Menschen bildet. In einer anschaulichen und unterhaltsamen Weise, die dennoch wissenschaftliche Korrektheit nicht allzusehr zugunsten reinen Vorabendinfotainments (à la „Wenn jetzt die Sonne eine Wassermelone in Frankfurt ist, dann ist die Erde ein Pinienkern in Bad Salzuflen“) hintanstellt, nimmt uns Sobel mit auf eine Themenreise, die bei unserem Zentralgestirn beginnt und dann Planet für Planet, Kapitel für Kapitel und Teilthema für Teilthema auswärts schreitet.
Das Schöne an Sobels Buch ist, dass sie das Ganze sehr persönlich und unsortiert gestaltet, von ihrer eigenen Begeisterung für das Thema ausgeht, damit an mein eigenes unsortiertes Interesse für die Astronomie anknüpft (immerhin bin ich ja lebenslanger SF-Fan, da bewege ich mich stets im geistigen Schwerkraftbereich des ein und anderen Himmelskörpers) und der statischen Vollständigkeit von Informationen das Selektive vorzieht. Sobel erzählt in jedem Kapitel etwas über einen der Planeten, aber sie verbindet das jeweils mit ganz anderen Fragestellungen, die oft selbst gar nicht astronomischer Art sind, und doch mit der Astronomie untrennbar verbunden. So beschäftigt sie sich u.a. mit der Frage, wie eigentlich die Wissenschaft der Astrologie auf die gesammelten Wissensstandsveränderungen der Astronomie reagiert, schlüpft in die Perspektive des 1984 in der Antarktis gefundenen Brockens Marsgestein, um so die Abfolge der verschiedenen Theorien über mögliches Leben auf unserem roten Nachbarn kurzweilig nachzustellen, würdigt einige der großen historischen Gestalten der Astronomie (und erinnert auf diesem Wege daran, dass sich darunter auch nicht wenige Frauen befinden), und so weiter und so weiter – alles nicht so sehr strukturiert, aber auf das Angenehmste erzählerisch miteinander verbunden.
So beschreibt sie z.B. die Schwierigkeiten, aus den nur auf den ersten Blick unveränderlichen Bewegungen der Planeten im Sonnensystem eine zuverlässige Zeitmessungsnorm abzuleiten:
„Im Moment beläuft sich die unmerkliche Verlangsamung der Erdrotation auf gerade mal eine Millisekunde alle fünfzig Jahre. Doch diese und andere Unbeständigkeiten haben die amtlichen Zeitnehmer dazu veranlasst, nach zuverlässigeren Bezugsgrößen als der Sonne, dem Mond und den Sternen zu suchen … „
Sobel gönnt sich an dieser Stelle – zumindest zwischen den Zeilen – die Vorwegnahme der Frage des durchschnittlichen Lesenden, welche denkbare menschliche Angelegenheit bitte eine noch exaktere Zeitmessung notwendig erscheinen lassen möge und kommt schließlich zu der Ansicht:
„Denn was nützt es, der Erde überheblich die Leviten zu lesen, weil sie eine Sekunde zu spät dran ist, wenn der Frühling sowieso kommt, wann er will?“
Es ist u.a. diese doch recht geerdete, dabei aber niemals bloßstellende Sichtweise auf eine sehr spezielle Wissenschaft, die ich an dem Buch schätze.
Ich erfuhr ansonsten viel Neues über unser Sonnensystem, durfte mich erinnern, warum die Planeten eigentlich die Planeten heißen (nämlich von griechisch planetai = die Umherschweifenden) und begriff, dass die Astronomie zeitweise vor allem als eine Art Hilfswissenschaft der Geographie betrieben wurde (Ptolemäus nahm auf dem Umweg über die Himmelsbeobachtung eine Bestimmung der Lage der Städte seiner alten Welt zueinander vor). Ich erfuhr, welcher Planet sechzig Jahre lang drei verschiedene Namen trug, weil man sich einfach nicht einig werden konnte (bis sich <Uranus> gegen <Herschel> und <The Georgian> durchsetzte), und die Existenz welches Planeten als mathematische Notwendigkeit ermittelt wurde, Jahre bevor man ihn tatsächlich fand (denn nur das Vorhandensein des Neptuns erklärt die Bahnanomalien des Uranus) – und so fort.
Zuletzt – denn das ist der Wissensstand, mit dem Sobels 2005 erschienenes Buch endet – habe ich auch endlich kapiert, warum der arme Pluto mittlerweile aus der Planetenfamilie wieder ausgeschlossen wurde, so dass der alte Merksatz „Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unsere … „ nicht mehr enden kann mit “ … Neun Planeten“, sondern entweder mit „… Unseren, ähm, Nachthimmel“ – oder aber viiiiel länger werden muss, da Pluto nur den größten und sonnennächsten Vertreter einer ganzen Gruppe von mindestens 150 (evtl. aber auch mehreren 100.000) Sonnenumläufern noch weiter draußen im sogenannten Kuiper-Gürtel darstellt. Auf der Plusseite muss sich nun niemand weiteres mehr bemühen, Holsts Planeten-Symphonie einen würdigen plutonischen Satz hinzuzufügen.
So ist Sobels Die Planeten ein sehr gelungenes Buch für solche, die vom Thema Astronomie fasziniert sind, sich jedoch nicht gleich in komplexe Statistiken, für Laien in der Regel eher unspektakuläre Satellitenbilder und die unvermeidliche fachspezifische Terminologie stürzen wollen. Es ist zwar trotzdem ein wenig schade, dass es fast keinerlei Illustrationen in dem Büchlein gibt, aber dafür ist Die Planeten mit einem kleinen Glossar, einem Register und einem kurzen Nachtrag zu jedem Kapitel versehen, wo Sobel alle Fachinformationen unterbringt, die den Haupttext hätten zu trocken werden lassen. Wer schon fürchterlich viel über Astronomie weiß, wird möglicherweise zu vieles vermissen, aber für mich als interessierten, leicht verschnupften Laien kam das Buch gerade recht.
Die etwas neuere Taschenbuchausgabe wurde mit einem aktualisierenden Anhang versehen. Dafür gibt es das 2005 beim Berlin Verlag erschienene Hardcover mittlerweile statt für 19,90 Euro im Modernen Antiquariat für um die 5 Euro. So günstig kommt man selten ins All, außer vielleicht noch per Anhalter.