Die Flut an Notizbüchern, die es heutzutage überall, am Bahnhofskiosk, im Was-die-Welt-nicht-braucht-Laden oder traditionell in der Papeterie zu kaufen gibt, hat uns vor die Frage gestellt, wer und vor allem was wer da wie in die Moleskines et al. hineinschreibt. Ein klasse Thema für eine Blogparade, haben wir uns gedacht und unsere Leser gebeten, uns zu erzählen, was Ihnen ihr Notizbuch bedeutet, wofür sie es verwenden und was mit ihm passiert, wenn es voll ist.
Die Antworten waren so individuell wie aufschlussreich über die Persönlichkeit der Autoren. Stark verspätet – zugegeben – aber immerhin, hier ist unsere Übersicht der Blogparadenbeiräge:
Der „Moleskine-Mann“ etwa gibt sich nicht mit der Norm zufrieden. Ein Notizbuch ist kein Notizbuch – denkt Molosovsky und füllt stattdessen parallel unzählige von ihnen. Die Ordnung kann dabei schon einmal flöten gehen:
„Früher habe ich ein Tagebuch brav fast täglich mit einem Eintrag versehen. Nun sind die verschiedenen Gedankenstützen für Rezis und längere Artikel wild kreuz und quer in zig angefangenen Moleskins verstreut. Waren Listen und Kapitelübersichten einst ein selteneres Gewürz, dominieren sie nun die Seiten meiner diversen Moleskins.“
Eins für die Rezensionsnotizen für zu Hause, eins für unterwegs. Ein anderes enthält Personenübersichten zu seinen Pynchon-Lektüren. Eins ist für Übersetzungen, das nächste für …. Und so weiter und so fort. Ein ums andere Mal hat Molosovsky sich in seinen Schriften wohl schon verirrt, die retrospektive Suche nach einem kontinuierlichen Gedankengang gleicht mitunter einer Schnitzeljagd.
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Doch auch den bedächtigen und ruhigen Götz machen seine eigenen Aufschriebe im Rückblick ab und an ratlos. Und das, obwohl die Schrift klar, die Zeilen gerade und nur wenige Korrekturen zu sehen sind:
„Von vielen Notizen weiß ich nach Jahren nicht mehr, was ihre Niederschrift ausgelöst hat. So ist es auch hier bei diesem spontan entworfenen, wohl parodistisch gedachten Anfang zu einer Kurzgeschichte, die auch nicht viel länger ist als der zu sehende Ausschnitt und damit endet, dass der Protagonist sich mit einem Regenschirm gegen mögliche Klapperschlangen bewaffnet und in Richtung einer Farm wandert.“
Hör auf uns, Götz! Weiterschreiben, vollenden!!
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Bei Martina würde vielleicht nicht sie selbst aber ganz bestimmt jeder Andere, so er denn den unentschuldbaren Fehler beginge, in einem fremden Tagebuch zu blättern, recht verwirrt zurück bleiben. Denn Martinas Notizbücher gleichen dem kreativen Chaos, ach was, sind kreatives Chaos. Horizontal von links nach rechts und umgekehrt geschrieben, auf dem Kopf, über den einen und den anderen Aufkleber, über zahllose markierte Stellen. Es bleibt nur wenig Platz unberührt zurück. Wilder, bunter, besessener, und das sich ständig steigernd, meint sie selbst:
„Termine, Listen, nächtliche Träume, Tagebucheintragungen, Geschichtenanfänge und –enden (nie die Mittelteile! Das Problem der unvollendeten Mittelteile! Ach, Freunde!), Gedichte, Fotos, Collagen etc. etc. Die Bücher wurden dicker, die Einbände luxuriöser, der Tinte blieb ich immer treu.“
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Liebevoll, geradezu von Ehrfurcht getragen, geht Professor Pu im Vergleich dazu mit ihren „Notizpüchern“ um. Auch sie schreibt zeitgleich in mehrere Exemplare, widmet eines schönen Gedichten, ein anderes den kreativen Anfällen und benutzt eines sogar für eine Liste der verliehenen Bücher. Und die ganz schönen Hefte, die stehen bei ihr jungfäulich im Regal, es sind die Diven, und allein ihr Anblick macht Pu glücklich.
Gabriel ist da sehr viel pragmatischer und schlägt locker die Brücke von der Kunst auf dem Papier zu der am Herd. Ins Notizbuch kommt rein, was wichtig ist, und das kann eben auch mal das Rezept für einen leckeren Schokokuchen sein:
„Literaten und Künstler brauchen Notizbücher. Ein Koch, ich meine, ein wahrer Koch braucht eine Gedächtnisstütze, einen kleinen geschriebene Safe für seine besten gestohlenen Rezepte, ein Füllhorn von lukullischen Ideen. Deswegen liebe ich mein kleines schwarzes Büchlein, das so viele schöne leckere Schweinereien in sich trägt. Denn auf eines ist Verlass: Ich weiß, dass ich etwas Leckeres zum Kochen finde.“
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Ich selbst nutze meine Skribbelhefte übrigens auch sowohl für ganz alltägliche Dinge wie für „große“ Gedanken. Es tut mir gut, meinen Kopf zu leeren, indem ich aufschreibe, was drin ist. Danach kann ich die Gedanken aus meinem Hirn löschen, Platz schaffen für neues und habe doch alles noch parat, sollte ich es wieder brauchen. Obwohl ich eigentlich nie lese, was ich schriftlich zuvor darin verbrochen habe. Anders Carina. Sie geht am Ende des Jahres noch einmal genau ihre „externe Festplatte à 365 Tage“ durch:
„Bevor ich aber den neuen Begleiter einweihe, nehme ich von meinem alten Abschied. Ich blättere ihn durch und lasse das vergangene Jahr Revue passieren. Nicht alle wichtigen Ereignisse sind in meinem Moleskine-Gedächtnis vermerkt. Manchmal reicht aber nur eine kurze Notiz, um eine Kettenreaktion an Erinnerungen aufleben zu lassen. [ …] Warum ich nicht längst auf eine elektronische Alternative umgestiegen bin und die alten Dinger wegschmeiße? Weil ich dann vieles aus den vergangenen Jahren tatsächlich vergessen würde. Zum Beispiel was und wer mir mit Neunzehn wichtig war, wie sich meine Handschrift verändert hat – und ich selbst. Natürlich freue ich mich auf das neue Jahr und besonders darauf, manchen Ballast von 2009 loszuwerden. Trotzdem möchte ich zum Jahresende nicht gleich die ganze Festplatte formatieren.“
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Warum also noch mal ein analoges Notizbuch in der digitalen Welt? Diese Frage darf Hendrik zum Abschluss beantworten, denn er hat uns eine Preisverdächtige Liebeshymne auf Notizbücher im ganz Speziellen zugesandt. Es ist die „pure, schlichte Sinnlichkeit des kreativen Herumsauendürfens“, die ein Notizbuch für ihn unverzichtbar macht.
„Am Bildschirm habe ich kein Gefühl für den Schwung eines Satzes, für die besonders bei flüssigem Schreiben bei mir häufigen Satzschachtelungen und vor allem nicht für die Unbestimmtheit, welche kreative Varianten noch zulässt. Die sofortige automatisierte Zeilensetzung überbetont die Struktur, die ich einem Text bei seiner Abfassung gebe, schafft einen Engpass und damit einen Rückstau, der zuweilen meinen Schreibfluss hemmt.“
Oder, wie wir es nicht besser hätten formulieren können:
„Mein Notizbüchlein ist mir […] Trittstein, Kompass, Talisman, Miniatlas, Fernglas, Ideenspiegel, Denkspazierstock und Reservehirnhälfte. Der Rechner, der mir das alles kann, Auge und Hand erfreut und dann auch noch in meine Manteltasche passt, der muss erst noch geschraubt werden.“
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Zuguterletzt meine ganz eigene Sicht auf meine Moleskines. Vielen Dank an alle, die sich beteiligt haben!