Während Prof. Pu Urlaub nimmt, geht Hendrik auf eine Reise – und nimmt uns mit an Orte, wo wir noch nie gewesen sind … oder doch? Zweiter von drei Teilen.
VII.
Zur Erholung von den unvermenschten Weiten kann ich aus der Zeit meiner frühen Leseerinnerungen zwei weitere Lieblingsorte nennen, und das ist die sich im Walzertakt der Schwerelosigkeit wiegende Erdorbitalstation aus 2001 – Odyssee im Weltraum und natürlich der schnittige Raumkreuzer ‚Orion‘; beides sind aus heutiger Perspektive reichlich naive Extrapolationen über das Thema Zukunft, aber gerade dadurch haben sie für mich nichts von ihrem Charme verloren – im Gegenteil: irgendwie sind sie gerade dadurch reizvoller als so manche Raumschiffe, in denen es womöglich mehr zu sehen gäbe – die ‚Sol‘ (Perry Rhodan), die ‚Voyager‘ (Star Trek) und natürlich die gesammelten ‚Enterprises‘ (wiederum Star Trek). Ich glaube, ich hätte mehr Spaß daran, durch Verstellen des berühmten Bügeleisens den „Rücksturz zur Erde“ einzuleiten als mich einfach in Papa Siskos Restaurant zu beamen – wäre aber natürlich gerne bereit, es auf einen Vergleichsversuch ankommen zu lassen.
VIII.
Von den aufgrund ihrer schieren Dimensionen spektakulärsten Orten der SF – nur begonnen bei der bereits erwähnten Flusswelt und der kaum weniger berühmten Ringwelt – fände ich aktuell vermutlich vor allem die von Iain M. Banks entworfenen Konstruktionen am besuchenswertesten, vielleicht vor allem, weil hier der Gigantismus stets erzählerisch durch das Element des Humors verdaulicher gemacht wird. Wer – metaphorisch gesprochen – stets gehalten ist, staunend den Mund nicht mehr zuzubekommen, der verhungert irgendwann beim Lesen, und Nivens sonnenumspannende Ringwelt habe ich mit Magenknurren in Erinnerung. In Iain M. Banks‘ SF-Orten werden dem Leser humoristische Häppchen gereicht, und sei es dadurch, dass zuweilen der Ort selbst reichlich verschrobene Persönlichkeit besitzt – vielleicht reist man z.B. gerade mit dem Raumschiff ‚Ich gebe meiner Mutter die Schuld‘ – und so ist dies ein wesentlich angenehmerer geistiger Aufenthalt. Gezwungen, mich zwecks längeren Verbleibs für einen der vielen Orte im Kultur-Universum zu entscheiden, würde ich – Landei, das ich wohl auch als SF-Leser bin – womöglich allerdings das Haus des Protagonisten aus Das Spiel Azad wählen.
IX.
Wieder auf Planetendimensionen hochgedacht, fallen mir natürlich noch weitere Orte ein, die mich faszinieren. Der Waldplanet Athshe (Ursula K. Le Guin, Das Wort für Welt ist Wald) hat sich in mir als einer der wenigen SF-Orte eingeprägt, an denen Mensch und Natur zumindest die Möglichkeit einer harmonischen Koexistenz noch nicht aus den Augen verloren haben. Auch Gethen (Ursula K. Le Guin, Die linke Hand der Dunkelheit) würde ich – trotz der Kälte dort – gerne einen Besuch abstatten.
X.
Der im 9. Star Trek-Film heiß umkämpfte Lebensraum der Ba’ku scheint ein äußerst nettes Fleckchen zu sein. Ach, und wo wir schon im Star Trek-Universum vorbeischauen, sei gleich ergänzt, dass mir der ewige Urlaubsplanet Risa eher uninteressant vorkommt, weil ich mir kaum etwas Langweiligeres vorstellen kann als ein himmelskörpergroßes Vollpensionsresort, wo es eindeutig mehr Badeanzüge als Lesestoff gibt (… und, ähm, nein Schatz, das ist nicht mein Horgan, den muss jemand hier liegengelassen haben). Da würde ich viel eher noch durch das Bajor vor der cardassianischen Invasion reisen; vielleicht sogar durch das Cardassia vor der cardassianischen Invasion. Alles mit Zwischenstationen auf Deep Space 9 natürlich, um auch hiervon ein Scheibchen mitzubekommen. Vom oberen Pylon 2 soll ja die Aussicht besonders spektakulär sein.
XI.
Jack Vance, ein weiterer meiner Lieblingsautoren, schuf ebenfalls einige wunderbare und bestaunenswerte Orte. Neben an anderer Stelle bereits Erwähntem fällt mir da u.a. die Erzählung „Die Welt der Zehn Bücher“ ein. Auf diesem fernen Planeten ist an einem entscheidenden Wendepunkt der dortigen Evolution ein terranisches Raumschiff abgestürzt, und die zivilisatorische Entwicklung des Lebens dort hat sich völlig an zehn Büchern orientiert, welche als einziges Artefakt den Absturz überstanden haben. Jahrhunderte später landen erneut Raumfahrer, Flüchtlinge von der mittlerweile völlig heruntergewirtschafteten Erde auf dem gleichen Planeten, und während man ihnen die Wunder zeigt, die man dort nach dem Vorbild der stilistisch übertriebenen Zukunftsspinnereien eines längst vergessenen Autors errichtet hat, entschuldigt man sich ständig bei den völlig überwältigten Terranern wegen der Primitivität all der Errungenschaften, denn auf der Erde sei man ja gewiss mittlerweile längst über all dies weit hinaus… – anschauenswert? Ganz gewiss!
XII.
Aus naturwissenschaftlicher Neugier heraus würde ich mich auch liebend gerne für eine Zeit auf den Planeten begeben, auf dem David Brins „Der Übungseffekt“ angesiedelt ist. Hier ist das Gesetz der Entropie umgekehrt, und während überall sonst jede Materie sich irgendwann verbraucht und jede komplexe Maschinerie irgendwann zerfällt, verbessern sich dort die Dinge durch Gebrauch: um ein perfektes Flugzeug zu erhalten, muss man ’nur‘ etwas zusammenschustern, das gerade irgendwie fliegen kann, und es dann ständig benutzen. Die schönsten Kleider sind solche, die ständig getragen werden; und so fort. Etwas beängstigend vielleicht, aber anschauenswert? Ganz gewiss!