„Jack Reacher“: Supercop mit Reisezahnbürste (Buch)

PJ liest Lee Childs „Sniper“

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(Mit freundl. Genehmigung des blanvalet-Verlags)Um eines schon mal klarzustellen: Wer Spannung ohne Brutalität will, der ist bei Lee Child falsch. Wer spannende Geschichten mit unerwarteten Wendungen und Rettungen aus ausweglosen Situationen lesen möchte, der ist bei Lee Child genau richtig. Sein Serienheld Jack Reacher ist der typische einsame Wolf, der lonesome Rider, der kein Haus, kein Auto, eigentlich auch keine Freunde besitzt und der alle vier Tage für 10 Dollar einen neuen Satz Kleidung kauft, die er nachts unter seinem Bettlaken schlafend durch Körperwärme bügelt. Das klingt nach militärischen Tricks und er ist auch Soldat. Er war Major bei der Army, hat als Militärpolizist diverse US-Kriegsschauplätze erlebt, sich aber im Lauf der Zeit innerlich von der Army und ihren Werten entfernt. Wie schwer es ist, Jack Reacher zu finden, zeigt sich, als ein Rechercheur, ein guter Rechercheur, ein ehemaliger Polizist nämlich, versucht Reacher ausfindig zu machen. Vergeblich.

„Nach drei Stunden wußte Franklin, dass seine Suche aussichtslos war, weil Reacher nach 1997 vom Radarschirm verschwunden war. Komplett verschwunden. Er hatte nirgends eine Spur zurückgelassen. Aus den Unterlagen der Sozialversicherung ging hervor, daß er noch lebte, und NCIC bestätigte, daß er nicht im Gefängnis saß. Aber er war verschwunden. Keine Kreditauskunft kannte ihn. Er war nicht als Besitzer von Immobilien, Autos oder Booten registriert. Er hatte keine Schulden. Keine Adresse. Keine Telefonnummer. Er war nicht zur Fahndung ausgeschrieben. Er war kein Ehemann, kein Vater. Er war ein Gespenst.“

Doch dieses Gespenst reist durch die USA und da, wo es auftaucht, gibt es meist Ärger. So in einer Kleinstadt in Indiana. Dort hat ein Ex-Army Scharfschütze fünf Menschen erschossen – wahllos, so scheint es. Aber nur auf den ersten Blick. Die Polizei hat eine lückenlose Beweiskette und verhaftet den Mann. Jack Reacher reist ebenfalls an.14 Jahre zuvor hatte er erfolglos versucht, den Sniper einzubuchten und nun will er ihn endlich seiner gerechten Strafe zuführen. Doch die Dinge entwickeln sich völlig anders. Die Beweiskette war zu lückenlos, Reacher sieht bald etliche Ungereimtheiten in dem Fall und als ein unbeteiligtes junges Mädchen kaltblütig ermordet wird, um ihn bei der Polizei reinzureiten, da dreht er erst richtig auf. Denn ein Charakterzug Reachers ist sein ausgesprochenes Gerechtigkeitsgefühl. Bei seinen Recherchen ist der 1,90-Meter Mann nicht immer zimperlich. Er sucht in einem Autohandel die Adresse eines bestimmten Burschen und das geht so:

Gary war damit beschäftigt, die Einkäufe eines Mannes einzutippen. Reacher stellte sich hinter dem Kunden an. Zwei Minuten später stand er selbst vor der Kasse.
„Ich brauche Jeb Olivers Adresse“, sagte er.
„Wieso?“, fragte Gary.
„Wegen einer juristischen Sache.“
„Ich will irgendeinen Ausweis sehen.“
„Dieser Laden hier war das Zentrum einer kriminellen Verschwörung. Je weniger Sie darüber wissen, desto besser für Sie.“
„Ich will trotzdem etwas sehen.“
„Wie wär’s mit dem Inneren eines Krankenwagens? Das kriegen Sie als nächstes zu sehen, Gary, wenn Sie mir nicht Jeb Olivers Adresse geben.“
Der Kerl überlegte einen Augenblick. Betrachtete über Reachers Schulter hinweg die sich bildende Kundenschlange. Entschied sich offenbar gegen eine Auseinandersetzung, die er nicht gewinnen konnte, wenn andere Leute zusahen. Also zog er eine Schublade auf, nahm einen Ordner heraus und schrieb eine Adresse auf ein Notizblockblatt mit dem Firmenzeichen einen Ölfilterherstellers.
„Nördlich von hier“, sagte er. „Ungefähr fünf Meilen.“
„Danke“, sagte Reacher und griff sich den Zettel.

Selbstverständlich ist er nicht absolut vollkommen, kein 100prozentiger Superman, aber er ist nah dran. Doch im Vergleich zu Superman setzt Reacher zuallererst seinen scharfen Verstand ein, seine Recherchequalitäten sind ziemlich unerreicht – er sagt von sich, er sei der beste Cop bei der US-Militärpolizei gewesen.

Dann wird er durch einen Zufall von einem seiner Gegner entdeckt – er, der es sonst schafft, quasi unsichtbar zu sein … Und dieser Mann hängt sich an ihn dran. Reacher bemerkt es und versteckt sich in einer dunklen Sackgasse hinter dem Blechrohr eines Küchenabzuges. Ein Klassiker, aber jetzt wird’s dennoch spannend.

„Der Kerl ging auf Zehenspitzen. Von seinen Schuhabsätzen ar nichts zu hören. Nur das leise Knirschen von Ledersohlen auf Steinchen, die auf dem Asphalt lagen. Die Mauern, von denen sie Einfahrt auf beiden Seiten begrenzt waren, warfen schwache Echos zurück. Der Kerl kam immer näher. Er kam so nahe, daß er zu riechen war. Kölnisch Wasser, Schweiß, Leder. Er blieb kaum mehr als einen Meter von Reachers Versteck entfernt stehen und starrte in die Dunkelheit. – Noch einen Schritt, dann ist mit dir Schluß, Kumpel. Nur noch einen Schritt, dann ist das Spiel für dich aus. – Der Kerl wandte sich ab. Kehrte auf die Straße zurück. Reacher richtete sich auf und folgte ihm rasch und lautlos. – Das Blatt hat sich gewendet. Jetzt bin ich hinter dir her. Es wird Zeit, den Jäger zu jagen.“

So ganz allein löst er seine Fälle dann doch nicht, immer gibt es Helfer vor Ort, zumeist Helferinnen, die ihm mal das Auto oder das Handy leihen und so seine lückenhafte Infrastruktur ergänzen. Und er ist kein Freund von Traurigkeit, wenn es um attraktive und intelligente Frauen geht. Am Ende steckt er seine Klappzahnbürste ein, geht nach einem kräftigen Frühstück zum Busbahnhof und verschwindet irgendwohin.

Lee Child spannt den Bogen weit in „Sniper“. Die (Vor-) Geschichten der Protagonisten führen den Leser nach Kuwait ins Unternehmen „Desert Storm“, nach Afghanistan, ja sogar in die Lager der früheren Sowjetunion. Alles ist aber dennoch plausibel und trägt zur Authentizität der handelnden Personen bei. Wie glaubwürdig die Kampfsituationen sind, die oft nach dem Schema „einer oder zwei gegen viele“ konstruiert sind, sei dahin gestellt. Sie nehmen zumindest nicht überhand, also nicht Action um der Action Willen, sie finden auch erst showdown-mäßig gegen Ende des Thrillers statt. Selbstverständlich bringt Reacher das eine oder andere Frauenherz zum Schmelzen, in diesem Fall das der TV-Moderatorin Yanni, die beim blutigen Showdown mitgewirkt hat – aus rein journalistischem Antrieb, versteht sich.

Yanni trat nah an Reacher heran und sagte: „Harte Männer stehen nachts bereit.“ Reacher … lächelte nur und sagte: „Ich bin meist um Mitternacht im Bett“
„Ich auch,“ sagte Yanni. „Alllein. Du weißt meine Adresse noch?“
Reacher lächelte wieder und nickte. Dann ging er nach unten … Der Tag brach an. Er leerte seine Taschen … Dann fragte er die Sanitäter, ob er mit ihnen in die Stadt zurückfahren könne. Er rechnete sich aus, daß … er den Busbahnhof erreichen konnte, bevor die Sonne ganz aufgegangen war. Noch vor Mittag würde er in Indianapolis sein. Dann konnte er sich neue Schuhe kaufen und praktisch überall sein, bevor die Sonne wieder unterging.

In diesem Fall (sch)reitet der einsame Cowboy also in die aufgehende Sonne. Solche Symbolik im Jahr 2005 einzusetzen, das wirkt rituell, klischeehaft, aber J.R. Ist auch klischeehaft gestaltet. Darauf muß man sich halt einlassen.

Jack Reacher, die von Anfang an auf eine Serie angelegte Figur Lee Childs, hat ihre Fangemeinde. Sicher ist er nicht jedermanns Held und vor allem nicht jederfraus Typ. Doch ein pageturner ist eigentlich jeder Lee Child-Thriller. Jetzt darf Tom Cruise zeigen, ob er den wortkargen, narbigen, hünenhaften Jack Reacher stimmig verkörpert. Eine Verfilmung der J.R.-Thriller war zumindest schon lange überfällig.

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz.
Quelle: PJ Klein/SchönerDenken

Lee Child
Sniper
blanvalet, 1. Aufl. als Taschenbuch 2009
ISBN 978-3442372089
8,95 €

Und wie ist „Jack Reacher“ im Kino? Hier die Antwort.

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