Christian Hellwig von Kino, TV und Co ist unserer Einladung gefolgt und lässt sich einen Science-Fiction-Film noch einmal auf der Zunge zergehen, diesmal ein ganz junger Jahrgang, aus Sicht von „The Future revisited“ fast noch ein Federweißer:
Gut Ding will Weile haben. Das gilt insbesondere auch, oder viel mehr sogar gerade dann, wenn es um Wein geht. Was aber, wenn die Realität schneller ist als die Science-Fiction? Oder um im Bild zu bleiben: Was ist, wenn der kostbare Tropfen entkorkt werden muss, bevor der Reifeprozess vollständig abgeschlossen worden ist? Lasst mich ein wenig ausholen.
Das politische System der Vereinigten Staaten von Amerika birgt einige Merkwürdigkeiten, was ihre Präsidenten angeht. Strapazieren wir die traubenlastige Metaphorik durchaus noch ein wenig länger. Alter Wein in neuen Schläuchen: Auf George Bush Senior folgte irgendwann Bush Junior als „mächtigster Mann der Welt“ nach und flugs hatte sich Geschichte dann doch tatsächlich einmal wiederholt. Was sich Papa seinerzeit nicht getraute, brachte der Sohnemann nach dem 11. September 2001 zu Ende: Hinein in den Irak, ab nach Bagdad und weg mit Saddam. Es waren die Jahre in denen die so genannte „Achse des Bösen“ rund um Iran, Irak und Nordkorea ausgerufen wurde. 2008 dann die Wende. Freudetrunken lag sich eine Nation in den Armen. Die verführerischen Worte rund um den großen „Change“ berauschten die Massen und vernebelten die Köpfe. Mittlerweile lichtet sich der Schleier und gibt den Blick frei auf ein verkatertes Land, das erkennen muss, dass „Yes we can!“ eben doch etwas anderes ist als „Yes we did!
Aber gehen wir nun erst mal wieder einen Schritt zurück. Es ging um die Frage, was passiert, wenn Science-Fiction von der Realität eingeholt wird. Letztlich ist dies natürlich eine unvermeidliche Tatsache. Denn egal, wie weit eine Erzählung auch in die Zukunft reicht, irgendwann wird der Tag kommen, an dem diese obsolet geworden ist. Im Fall von Richard Kellys „Southland Tales“ ist diese Halbwertszeit äußerst gering gewesen, brachte er diese dystopische Groteske, die sich seines Heimatlands im Jahr 2008 annahm, 2006 in die amerikanischen Kinos. Wie mittlerweile auch der Letzte mitbekommen haben dürfte: Wir schreiben das Jahr 2010 anno domini, G.W. hockt in seiner Farm in Texas, und einen nuklearen Terroranschlag, dem die Vereinigten Staaten im Jahr 2005 zum Opfer gefallen sind, wie von Richard Kelly in seinem Film erdacht, gab es bekanntlich auch nicht.
Was nun also machen mit Kellys Film, der ohne jeden Zweifel zu den interessantesten Beiträgen des Genres in den letzten Jahren gezählt werden muss, auch wenn das viele Zuschauer und Kritiker nicht wirklich erkennen wollten oder konnten. Aber ist es wirklich so wichtig, ob eingetreten ist, was Kelly sich da hat einfallen lassen? Natürlich ist dies eine Suggestivfrage, deren Antwort ganz klar „nein“ lauten muss. „Southland Tales“ stellt einen ganz besonderen Jahrgang dar: In der brennenden Hitze des Terrors reiften die verunsicherten und angsterfüllten Trauben einer bis ins Mark erschütterten Nation, die nicht wusste, wie sie zu handeln und zu reagieren hatte. Und dann zu allem Überfluss, als sie es zu wissen meinte, ziemlich viel verkehrt machte.
Richard Kelly erntete diese Früchte und reicherte sie mit den Aromen seiner ganz subjektiven Sichtweise auf seine Heimat an. „Southland Tales“ war offensichtlich nicht dazu bestimmt lange zu reifen. Sofort nach der Gärung geöffnet – und diese ganz spezielle Mischung gärte in Kellys Weinfass offenbar gewaltig – zeigte sich schnell die Natur dieses Tropfens, die nicht gerade lieblich war, sondern einen bitteren Nachgeschmack auf die Zunge zaubern musste. Aber nicht alles, was bitter schmeckt, muss ja unbedingt schlecht sein.
Wer möchte, der kann in die Sichtweise von Richard Kelly in „Southland Tales“ richtig tief eintauchen. Kapitel 1-3 seiner Endzeitversion sind in Comicform veröffentlicht, während die finalen Kapitel 4-6 von dem eigentlichen Film abgedeckt werden. Auch in anderer Hinsicht, nämlich in Bezug auf die Besetzung, ist der Film eine wahrlich wunderliche Angelegenheit: Dwayne „The Rock“ Johnson, Seann William Scott, Sarah Michelle Gellar, Justin Timberlake. Wer mir vorher erzählt hätte, dass ein Film mit diesem Ensemble funktionieren kann, dem hätte ich a priori einen zu tiefen Blick ins Weinglas attestiert. So aber passt das alles ganz harmonisch zum bizzar-konfusen Geschmack des Films, der sich letztlich auch als Reaktion auf mittlerweile etablierte Sehgewohnheiten präsentiert. „Southland Tales“ ist bunt, laut und schrill und gibt sich als reichlich exaltierter Bildersturm mit zahlreichen Chiffren, deren potentielle Deutungsmuster den Reiz der gesamten Angelegenheit ausmachen.
Ich werde an dieser Stelle nicht erklären, wie der Film zu verstehen ist, was ich auch nicht abschließend könnte. Auch möchte ich an dieser Stelle darauf verzichten, großartig auszuführen, was meine Assoziationen bei der Verkostung von „Southland Tales“ waren; was ich also bei den einzelnen Bildern und Sequenzen gedacht habe. Das muss und soll jeder für sich heraus schmecken. Es wird dabei nicht ausreichend sein, den Film nur einmal zu sehen, nur einen beiläufigen Schluck nehmen zu wollen. So viel ist sicher! Wer nicht schmecken kann (oder will), wer also nicht interpretieren kann (oder will), sollte den Korken in der Flasche lassen.
Man muss mitnichten mögen, was sich Richard Kelly in seiner unverkennbar von der Gegenwart inspirierten Dystopie hat einfallen lassen, doch sollte man erkennen, dass sich hierbei um ein vielschichtiges Mosaik handelt, welches die wesentlichen Probleme seines Landes speziell in den Jahren unter Bush nach den Anschlägen auf die Twin Towers aufgreift und satirisch verdichtet: Der unerschöpfliche Hunger nach Ressourcen, die Angst vor dem Terror und das Bedürfnis nach Sicherheit im Spannungsfeld zwischen demokratisch-rechtsstaatlichen Prinzipien und überwachungsstaatlichen Methoden haben die USA in Kellys Endzeitversion an den Abgrund geführt.
Wie einst Stanley Kubrick, der in „Dr. Strangelove“ die Atombombe ritt, lässt auch Richard Kelly seine Protagonisten der Apokalypse entgegen tanzen. Die Apokalypse? Einen Moment bitte! War da nicht was? Allerdings: Das Ende der Geschichte, das Reich Gottes oder das Jüngste Gericht. Vielleicht aber sind wir ja doch noch eines Tages so blöd und sprengen uns selbst in die Luft. Oder aber uns fällt irgendwann einfach nur der Himmel auf den Kopf. Man suche sich etwas aus: Whatever suits you best! Sollen wir nun aber daran glauben, dass eines Tages alles vorbei ist? Ich glaube Richard Kelly ist sich da ziemlich sicher, auch wenn er ausreichend Platz zur Spekulation lässt. Und damit ist er ja nicht alleine. Habt ihr euch eigentlich schon einmal gefragt, warum die Menschen in Hamburg, Köln oder Wien über Jahrhunderte hinweg im Heiligen Römischen Reich gelebt haben? Man vergisst ja in unserer mittlerweile doch weitestgehend säkularisierten westlichen Gesellschaft schnell die eigenen religiösen Wurzeln. Im Mittelalter aber war von der „Entzauberung der Welt“, wie es Max Weber so passend ausgedrückt hat, noch keine Spur.
Im christlich dominierten mittelalterlichen Kulturkreis des Okzidents war der Untergang der Welt nämlich keine Frage des „ob?“, sondern ausschließlich des „wann?“. Wann genau aber „wann“ ist, das wusste man wiederum nicht so genau. Die Bibel erzählt im zweiten Buch Daniel vom Traum des Nebukadnezar, dem ein vierteiliges Standbild erschien, das als Abbild der Weltgeschichte gedeutet wurde: Es werden vier Weltreiche (Das babylonische, persische, griechische und römisches Reich) aufeinander folgen, welche abschließend nach dem Untergang der Welt vom Reich Gottes abgelöst werden wird. Man kann sich vorstellen, dass es aus theologischer Sicht nicht gerade günstig war, als man feststellen musste, dass man auch nach dem Untergang des römischen Reiches noch da war. Eine Erklärung für diesen misslichen Zustand wurde jedoch schnell gefunden. Das Oströmische Reich bestand ja noch und verstand sich als legitimer Nachfolge Roms, bevor die Kaiserwürde auf das Heilige Römische Reich überging und das Ende der Welt locker flockig weiter hinauszögert wurde. Toll! Aber verlassen wir nun diese staubige Lektion in Geschichte schnell wieder und wenden uns wieder „Southland Tales“ zu.
Ob nun 2005, 2008 oder 2099 – wann wir untergehen, das haben wir nun gelernt, ist letztlich nicht mehr als eine Frage der richtigen Interpretation. Von daher ist es völlig egal, ob Richard Kellys „Southland Tales“ auf den ersten Blick von der aktuellen Weltpolitik eingeholt worden scheint. Vielleicht haben wir ja einfach nur einen Gnadenaufschub bekommen, denn keines der von Kelly in seinem Film aufgerufenen Probleme ist zum heutigen Tage gelöst. Wie war das mit den Feinheiten von „Yes we did“? Eben! Und nun sollte man sich nicht lumpen lassen und „Southland Tales“ eine Chance geben. Gibt es einen besseren Grund um zu trinken, als den drohenden Untergang der Welt? In diesem Sinne: Holt die Flaschen aus dem Keller und die guten Gläser aus dem Schrank. Zum Wohl und: Have a nice Apocalypse!