Wir lieben Filme, wir lieben Bücher – kein Wunder, dass wir Filmbücher lieben. Götz stellt uns eines seiner liebsten Filmbücher vor:
Da ich als Kind Western liebte, das Genre zunächst über Serien wie „Bronco“, „Der Texaner“ oder natürlich „Bonanza“ entdeckte, bald aber auch Klassiker wie „Winchester 73“, „Stagecoach“, „Der gebrochene Pfeil“ oder „Der weite Himmel“ im Fernsehen sah und schließlich von meinen Eltern auch in gerade aktuell im Kino laufende Filme wie „The Alamo“, „Für eine Handvoll Dollar“ oder „The Wild Bunch“ mitgenommen wurde, die damals „ab 18“ waren, weil in ihnen „das Blut spritzte“, so dass mein Vater jedes Mal in den Clinch mit der Kinokassiererin gehen musste, um mich einzuschleusen, war es nur folgerichtig, dass meine erste filmliterarische Anschaffung später das „Western Lexikon“ von Joe Hembus war. „1324 Filme von 1894-1978“, so der Untertitel der Ausgabe, als Taschenbuch im Heyne-Verlag erschienen. Die aktuellste, von seinem Sohn nach Hembus’ Tod überarbeitete Auflage aus dem Jahr 1997 listet 1567 Werke auf. Die Neuausgabe fügt noch weitere, nach 1978 entstandene Western hinzu – es waren ja nicht mehr so viele – herausragend natürlich die Monumente „Heaven`s Gate“ und „Dances With Wolves“ und „Unforgiven“, die ausführlich gewürdigt werden.
In einer Vorbemerkung der ersten Auflage heißt es: „Dieses Lexikon beschreibt die Spitze eines Eisberges“. Denn aus der unermesslichen Western-Produktion Hollywoods kam ja nur ein Teil über den Atlantik in die Kinos. Alphabetisch nach deutschen Titeln geordnet, stellt das Standardwerk zu dem Kinogenre schlechthin vom Edel- bis zum Trashwestern alle „Cowboy- und Indianer“-Filme vor, die je in Deutschland in den Verleih kamen. Verleih- und Originaltitel, Regie, Drehbuch, Kamera, Musik und die wichtigsten Darsteller nebst ihren Rollennamen, gefolgt von einer Inhaltsangabe und einer Kritik – so ist jeweils der Aufbau der einzelnen Artikel. Zudem hat Hembus die Filme bewertet, mit keinem, einem, zwei, maximal drei Sternen.
Illustriert ist das Ganze mit einigen schönen Standfotos. Obwohl das Lexikon also 1997 noch einmal aufgelegt und aktualisiert wurde, habe ich noch immer mein erstes Exemplar, dem schon das Deckblatt fehlt und das angegilbt ist. Ich hänge so an ihm, weil ich es unzählige Male in die Hand genommen habe, meist unmittelbar nachdem ich einen Western gesehen hatte. Manche Artikel habe ich gewiss ein dutzend Mal oder häufiger gelesen. Was zunächst auffällt, ist, dass der Großteil der Filme keinen oder höchstens einen Stern führt. Man kann daraus zu recht schließen, dass Western Fließbandproduktionen waren, überwiegend B-oder gar C-Movies, und nur wenige Regisseure an den Western einen höheren Anspruch knüpften. Die wenigen Gipfel der Westerngeschichte aber ragen dafür um so strahlender in den Kinohimmel. Es macht einfach Spaß, zu blättern und zum Beispiel die deutschen Verleih- und Fernsehtitel mit den Originaltiteln zu vergleichen. Aus „The San Francisco Story“ wurde zwar „Menschenjagd in San Francisco“ und aus „Shotgun“ wurde „Ritt in die Hölle“, aber meist sind die deutschen Titel gar nicht so fern vom Original und oft sogar prägnanter.
Es ist sehr unterhaltsam, die Kommentare zu Filmen zu lesen, die man nicht kennt und wahrscheinlich niemals zu Gesicht bekommen wird, etwa diesen zu „Bankraub in Mexiko“ aus dem Jahr 1956:
„Das einzige Verdienst solcher letztrangigen Filme ist es, dass durch sie Schurken-Chargen wie Neville Brand, die sich in Dutzenden von großen Western bewährt haben, auch einmal zur Ehre einer Hauptrolle kommen“.
Oder hier bei „Terror am Rio Grande“ von 1952:
„Für die Liebhaber von frontalen Zugkollisionen. Die alte Zasu Pitts sieht noch genau so aus wie in Stroheims „Greed“, der ihren Ruhm begründete, genau so schön, genau so gefährlich.“
Einen Kommentar gibt es natürlich nicht zu jedem Film. Und die Inhaltsangaben fallen oft auch sehr minimalistisch aus:
„Drei Brüder rächen den Mord an ihrem Vater.“
Mehr nicht. Und manchmal ist auch noch eine kleine Kritik angefügt, etwa zu dem Film „Der Bandit von Sacramento“ von 1946:
„Bandit ruiniert sich aus Liebe und Freundschaft und stirbt in den Armen seiner Geliebten. Purer Humbug.“
Mehr Worte muss man über diese Filme dann wohl auch nicht verlieren. Da kann man Hembus, der der beste deutsche Kenner der Westerngeschichte war, vertrauen. Seine Kommentare zu den Meisterwerken des Genres sind angenehm unintellektuell, uneitel, geistreich und bieten oft höchsten, unterhaltsamen Lesegenuss. Wunderbar treffend etwa, was er über George Roy Hills „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ schreibt, das sei
„ein schöner, fauler Film, der sich das Kopfkissen unters Genick schiebt und einfach im Schlaf Millionen verdient.“
Und dann lässt er Robert Redford, der den Sundance Kid spielt, erzählen und das genügt völlig zum Verständnis des Films. Immer wieder streut er Zitate ein, von den Regisseuren oder Darstellern, von Kritikern, Cineasten und anderen Experten. Nehmen wir Otto Premingers 1954 gedrehten „Fluß ohne Wiederkehr“ („River of no return“). Da beginnt der Kommentar von Hembus so:
„Mitchum und Marilyn: die Partnerschaft verwandter Seelen, ‚ein Erlebnis voll von Honig’ (wie Wilhelm Busch sagen würde). Preminger hat sich zwar sehr unfreundlich über seinen weiblichen Star ausgesprochen: „Marilyn zu inszenieren ist wie mit Lassie zu arbeiten; man muss jede Einstellung 14 mal wiederholen, bis sie endlich an der richtigen Stelle bellt.“ Aber das ist schließlich Ottos Berufsrisiko, und das Resultat zeigt, dass das Arbeiten unter großen Risiken oft die besten Kräfte eines Mannes mobilisiert.“
Soweit Hembus, der dann bei diesem Film, wie auch an anderen Stellen noch aus Herbert Achternbuschs unübertrefflicher Cineastenromanze „Der Tag wird kommen“ zitiert:
„Ich wechselte bei den nächsten Vorstellungen den Sitz, damit man den Blutfleck unterm Stuhl nicht auf mich bezog. So hatte mein Herz geblutet“
schreibt Achternbusch, nachdem er „River of no return“ im Rahmen einer Western-Retrospektive gesehen hatte. Und noch ein schönes Achternbusch-Zitat, mit dem Hembus seinen Kommentar zu Howard Hawks „The Big Sky“ aus dem Jahr 1952 beschließt, will ich hier gleich anfügen. Über den von Arthur Hunnicutt darin in klassischer, endgültiger Form verkörperten Trapper schreibt Achternbusch, dass der sich wohl
„in der unentdeckten Welt des oberen Missouri besser auskannte als irgendeiner, den ich je traf, in der unsrigen.“
Und Hembus, mag man da sagen, kennt sich in der Literatur zum Western aus wie kein Zweiter. Er ist ein Meister des Zitats, in dem Sinn, dass er die fein gewählten Zitate so bruchlos seinen pointierten, knappen Interpretationen einfügt, dass man sich beim Lesen manchmal in einer Gesellschaft über den Film plaudernder Freunde wähnt.
Einem Film hat er eine herausragende Stellung unter allen anderen verschafft, indem er ihm als einzigem vier Sterne gegeben hat – und das obwohl in der redaktionellen Vorbemerkung des Buches von System mit maximal drei Sternen die Rede ist. Das ist John Fords „The Searchers“ (Der Schwarze Falke), 1956 vor allem im Monument Valley inszeniert. Tatsächlich hat er spätere Filmemacher beeinflusst wie kein zweiter Western, ja wie überhaupt kaum ein anderer Film. Gerade in den siebziger Jahren, als Hembus’ Buch entstand, war „The Searchers“ der Kultfilm der Regisseure des New Hollywood. Steven Spielberg, Martin Scorsese und Michael Cimino und viele mehr wurden von ihm beeinflusst. Paul Schrader, der Drehbuchautor von „Taxi Driver“, berichtete:
„Ich sehe mir „The Searchers“ zumindest einmal im Jahr an. …Scorsese und ich sind der Meinung, dass er der beste amerikanische Film ist. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf Taxi Driver“.
Und Scorsese schwärmte:
„Die Dialoge sind wie Gedichte. Und die Veränderungen im Ausdruck sind so subtil, so großartig!“
Spielberg sieht in „The Searchers“ „ein Musterbeispiel für dramatische Kameraführung und Bildkomposition.“ Allein während der Dreharbeiten zu „Close Encounters of the Third Kind“ habe er den Film zwei Mal gesehen. Und aus der jüngeren Filmgeschichte kann man Quentin Tarantino anführen, der in der Anfangsszene von „Inglorious Basterds“ die Exposition von „The Searchers“ zitiert. Wer sich über Christoph Waltz monströse Pfeife wundert, die er hervorzieht, als er seine freundliche Maske ablegt und das Signal zum Morden auf dem französischen Bauernhof gibt, der sei verwiesen auf das Jagdhorn, in das der Komantschen-Häuptling Scar zum Angriff auf die kleine Farm der Familie Edwards bläst. Bei „The Searchers“ ist auch Hembus emphatischer als selbst bei anderen Klassikern wie „Red River“, „Rio Bravo“ oder „Seven men from now“, die ebenfalls von ihm ausführlich besprochen und mit vielen aufschlussreichen Zitaten, oft der Regisseure selbst, nahe gebracht werden.
Er hält Fords Meisterwerk für den Moby Dick des Western und gibt einen Einblick in die dem Roman tatsächlich kaum nachstehende Dimension der Geschichte und die Vielfalt der Lesarten, die dieser Film ermöglicht. Ich bemerke nun, dass ich zwei Filmbücher empfehlen möchte; Achternbuschs „Der Tag wird kommen“ (der Titel bezieht sich auf „The Searchers“) nämlich nebenbei auch, wobei das Buch wohl nur noch antiquarisch aufzutreiben ist. Denn zum Schluss seines Kommentars zu Fords Meisterwerk lässt Hembus natürlich wieder Achternbusch zu Wort kommen, der die Bedeutung von „The Searchers“ auf die denkbar schönste kürzeste Formel brachte:
„Wenn dieser Film von mir wäre, hätte ich nichts mehr zu sagen.“
Das Buch ist noch gebraucht erhältlich:
Das Western-Lexikon. 1567 Filme von 1894 bis heute.
Joe Hembus (Autor), Benjamin Hembus (Bearbeitung)
832 Seiten, erweiterte Neuausgabe (1997), ca. 40 Euro
ISBN 978-3453081215