Tausendundein Film – Godard ‚huit zéro (2)

Tausendundein Film. Götz bringt uns besondere Filme nah – tausendundeinmal. Und pünktlich zum Jahresende präsentiert er uns Godard – den zweiten von drei Teilen.

Dass Godard den Ehrenoscar dieser Tage in Hollywood nicht persönlich in Empfang nahm, war vermutlich kein Affront, kein Statement, denn er ist ein höflicher Mensch. Niemand ist großmütiger als die Filmindustrie in Hollywood, sie ehren sogar ihre Feinde. Aber Godard lässt sich auch mit 80 Jahren nicht vereinnahmen, bleibt widerständig und ließ verlauten, für ein Stück Metall wolle er nicht die weite Reise nach Los Angeles antreten. Vermutlich erhielt er den Oscar auch nicht nur für sein Werk, sondern dafür, dass er und seine Freunde einige von Hollywoods größten Namen erst wirklich groß gemacht haben, ihnen jenseits des Glanzes der Unterhaltungsindustrie auch den zeitlosen Ruhm der Kunst gesichert haben. Aber Godard einen Ehrenoscar zu geben, das ist ohnehin, als hätte man dem 80-jährigen Goethe den Literaturnobelpreis verliehen, irgendwie überflüssig.

Lassen wir einige seiner Filme vorüberziehen. „Die Außenseiterbande“ (1964) – Melancholie und Leichtigkeit sind in ihm einmalig verschmolzen, ein Schwarz-Weiß-Film, darin die Musik von Michel Legrand, eine Musik, von der ich denke, dass sie allzeit meinen Alltag begleiten sollte, am Anfang setzt sie ein, der Verkehrslärm wird ausgeblendet. Die Musik, wie sie in „Außer Atem“ und „Außenseiterbande“ eingesetzt wird – kaum ein anderer Regisseur hat die Musik in seinen Filmen so bedacht, so emotional eingesetzt wie Godard. Die Musik ist bei ihm der Ort der Elegie.

Eine Autofahrt durch das graue, winterliche Paris, man wünschte sich einen Godard-Film, der nur aus diesen lyrisch-dokumentarischen Straßenszenen bestünde. Im selben Film die berühmte Szene: Artur, Odile und Franz rennen durch den Louvre, um ihn in neuer Rekordzeit zu besichtigen und schaffen es in 9 Minuten und 43 Sekunden – eine Szene wie ein heiterer Fanfarenstoß zur Revolution, zur Anarchie, zur Phantasie, zu einem Leben ohne Zwänge, und wie sie dann zu dritt zur Musik aus einer Jukebox tanzen, auch das unvergesslich wie unzählige andere Momente in seinen Filmen. Godard hält diesen für schlecht, er betont das immer wieder. Und man versteht schon, warum. Aber er wird geliebt, wie auch „Außer Atem“, den nun wirklich alle Welt für großartig hält, wohl der Grund dafür, dass Godard schon Tobsuchtsanfälle bekam, wenn er auf diesen Film reduziert wurde, so wie es Goethe hasste, bis ins Alter der Autor des „Werther“ zu bleiben.

Quentin Tarantino hat seine Produktionsfirma nach dem französischen Filmtitel „Bande à part“ benannt. Es ist auch eine Parodie der literarischen Dreiecksgeschichte, die Truffaut mit „Jules und Jim“ 1961 vorgelegt hatte. Auch Godard setzt einen Erzähler ein (im Original seine Stimme), aber ironisch und kontrapunktisch, lässt ihn etwa nach einem Drittel des Films mitteilen:

„Dem Zuschauer, der erst in diesem Augenblick hereinkommt, könnte man sagen, es geht um viel Geld, einen Englischkurs, ein Haus am Fluss und ein romantisches junges Mädchen.“

„Pierrot le Fou“ (1965) mit seiner Farbenstruktur, leitmotivisch in jedem Bild wiederkehrend, in jeder Einstellung finden sich Blau-Weiß-Rot, Belmondo in der Badewanne in einer Velazquez-Monografie lesend, seinem Kind daraus vorlesend, dann haut er mit der Babysitterin aus seinem großbürgerlichen Ehekäfig ab, in einem gestohlenen Auto geht es über französische Landstraßen, aus Novalis „Hymnen an die Nacht“ wird zitiert: „Jahrtausende zogen abwärts in die Ferne, wie Ungewitter.“ Und es ist, als habe Novalis dies nur für Godards Film geschrieben, der die großen Wolken dazu zeigt. Belmondo und Karina singen und tanzen unter Kiefern am Mittelmeer, als hätten sie ein neues Arkadien oder Kythera entdeckt und am Schluss legt sich „Pierrot“ einen Sprengstoffgürtel um den Kopf. Das Road Movie schlechthin, Vorbild für Arbeiten von Lynch, Tarantino und Wenders.

„Die Verachtung“ (1963), ein Film von der Qualität eines griechischen Tempels, Fritz Lang spielt Fritz Lang, und es ist der ultimative Brigitte Bardot-Film. Godard war immer der Regisseur, der die Frauen liebte und sie in vollkommen natürlicher Schönheit inszenierte. Die Kamera umkreist zu elegischer Musik antike Skulpturen, Jack Palance lässt seinen Sportwagen nervös „tänzeln“ und dann vom Zügel schießen wie Jahre zuvor als Wagenlenker die Pferde in einem Hollywood-Historienschinken. Dann „Alphaville“ (1965), Godards Science-Fiction-Film, Godards „Metropolis“, gedreht an realen Schauplätzen in Paris, die Erde bot schon damals erstaunlich viele Kulissen für Zukunftsvisionen.

Eddie Constantine, der den Agent Lemmy Caution in vielen B-Movies der Fünfziger verkörpert hatte, wird hier geadelt und verfremdet, kämpft als leibhaftiges Zitat seiner selbst mit stoischer Buster-Keaton-Miene und Gedichte zitierend gegen die Maschinenherrschaft. Wie die amerikanischen Popart-Künstler erkannte auch Godard den Charme und die existenzielle Dimension der Comic- und B-Movie-Helden. Wenn Uma Thurman und John Travolta bei ihrem Tanz in „Pulp Fiction“ die gespreizten Finger vor dem Gesicht vorüberziehen, dann ist das auch ein Zitat aus „Alphaville“. Tarantino vernetzt die Filmgeschichte und eifert darin wie auch in seinem Veredeln der Trivialkultur Godard nach, der von Beginn seines Filmschaffens an immer auch Filmhistoriker war, was dann im Alter in dem monumentalen, mehrstündigen Essay „Histoire(s) du cinema“ gipfelte. Zitat Godard:

„Ich habe nur vom Zitieren gelebt, ich habe nichts erfunden.“

1990 hat er in „Allemagne Neuf Zero“ nach der Wende das verschwindende Ostdeutschland noch einmal bewahrt und eine Meditation über Deutschland in diesem historischen Augenblick verfasst und zugleich die Filmgeschichte zitiert, an sein Vorbild Rossellini und dessen Film „Deutschland im Jahre Null“ anknüpfend. Und dafür hat er wieder mit Eddie Constantine zusammengearbeitet, der noch einmal den Lemmy Caution spielt, noch weiter nun als in „Alphaville“ von dem ursprünglichen trivialen Groschenhefthelden entfernt.

Wie kein anderer Nouvelle-Vague-Regisseur hat Godard den Kapitalismus seziert und zugleich die Alltagspoesie, das Abenteuer Wirklichkeit, die Märchenhaftigkeit der Realität auch in der deformierten Gegenwart aufgespürt, voller Anmut, Poesie und heiterer Einfälle und Bilderfindungen.

In „JLG“ – einer Art Selbstporträt aus dem Jahr 1994 –  setzt er sich an einen Tisch, vor sich ein leeres Blatt, und lässt uns seine Gedanken hören, die er zugleich notiert. So entstehen wohl auch seine Filme, als assoziative Ketten, aus einer Fülle von Notizen, Fundstücken. Ein Kino der Reflexion, Filme wie eine Suchbewegung, die etwas in den Griff bekommen wollen. Er wolle sich mit dem Filmen seinen eigenen Eindruck erobern und das sei keine einfache Sache, sagt Godard in seiner „Einführung in die wahre Geschichte des Kinos“, einem der besten Werke der Filmliteratur. „JLG“ ist im Übrigen ein Film voller berückend schöner Naturaufnahmen, die sich in Godards Spätwerk zuhauf finden, so als wolle er etwas Verschwindendes bewahren.

Er war immer Hofnarr und Scharlatan, Romantiker, aber auch Aufklärer, ein Leser von Novalis wie von Montaigne und Pascal, unversöhnlich bis zur Intoleranz, möglicherweise geprägt vom Kalvinismus des Elternhauses und zugleich gegen jede Ideologie und Dogmatik aufbegehrend. Von seiner Kindheit und Jugend weiß man wenig. Der Gedanke der lebenslangen Revolte gegen die Herkunft liegt nahe, ein Scheidungskind aus wohlhabendem Haus, die Mutter Bankierstochter und Schlossbewohnerin, der Vater Arzt und Klinikbesitzer,  so liest man es jedenfalls. Der scharfe Bruch mit dieser Herkunft und doch zieht es ihn in der Krise der Lebensmitte wieder an den Genfer See, wo er aufwuchs, und ich denke mir, dass er auch eine Sehnsucht nach der Kindheit hat, die mit Orten verknüpft ist.

Der dritte und letzte Teil von „Godard ‚huit zéro“ erscheint an dieser Stelle am 7. Januar 2011.

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