Nachdem ich mich innerlich schon von Star Trek verabschiedet habe, komme ich jetzt resigniert aus „Der Hobbit: Smaugs Einöde“. Was für eine fette Enttäuschung. Aber sortieren wir mal die Gedanken:
Jacksons Hobbit als Literaturverfilmung
Ein Desaster, denn Peter Jackson und seine Drehbuchautoren vertrauen überhaupt nicht dem Charme der Vorlage. Tolkien erzählt im Roman die Geschichte von Bilbo Beutlin und zwar aus der Perspektive des Hobbits. Das hilft ungemein dabei, sich mit dem kleinen Kerl zu identifizieren und sorgt für Spannung, wenn Spinnen oder Orks nach seinem Leben trachten.
Jackson dagegen baut allerhand weiteres Material und weitere Figuren ein – zum Beispiel die sexy Elbenkriegerin Tauriel als Love Interest für Legolas und den Zwerg Kili, dann noch Radagast und wen sonst noch alles. Das führt dazu, dass Bilbo im zweiten Film (bis auf die Drachenszene) gar nicht mehr die Hauptfigur ist – nur noch einer der Zwerge, ohne Bart und mit Ring. Was für eine Verschwendung, den großartigen Martin Freeman derart zu unterfordern. Freeman darf ja in sieben Minuten Sherlock-Teaser mehr von seinem Talent zeigen als in neun Stunden Hobbit.
Was übernehmen? Was streichen?
Jede Literaturverfilmung muss die Gesetze der Kinodramaturgie befolgen, also kann man nicht einfach eine Romanstruktur übernehmen. Jackson geht einen dritten Weg: Er orientiert sich an der Computerspieldramaturgie, inklusive Jump and Run und Levelboss. Wenn ich schon dabei ein überschaubares Büchlein auf fast NEUN Stunden Laufzeit aufblase, warum streiche ich dann wesentliche (und unterhaltsame) Elemente, die den Helden konstituieren?
Beispiel: Die Spinnen, die sich über die Zwerge hermachen, werden von Bilbo im Roman mit Spottliedern provoziert und in die Irre gelockt. Das ist typisch für ihn, denn Bilbo ist ein smarter Kerl, so etwas wie der Danny Ocean der Fantasy. Jackson lässt davon NICHTS übrig, denn die sexy Elbenkriegerin braucht einen Actionauftritt und den bekommt sie auch, gefühlte ZWANZIG Minuten lang.
Anderes Beispiel: Beorn. Der Hautwechsler ist eine sehr beeindruckende Romanfigur. Im Buch weiß Gandalf, dass er Beorn nicht mit zwölf Zwergen und einem Hobbit auf einen Schlag belästigen kann. Also geht er mit einer kleinen Gruppe vor und beginnt Beorn, die spannende Geschichte ihrer bisherigen Abenteuer zu erzählen und lässt den Rest der Truppe sehr geschickt nach und nach auftauchen. Das liest sich wunderbar und wäre im Kino eine fantastische Gelegenheit gewesen mit Rückblenden zu arbeiten. Was passiert im Film? Die ganze Truppe fällt Beorn wortwörtlich mit der Tür ins Haus. Grrr.
Es wird noch schlimmer: die Optik
Ich habe mir die Hightechvariante gegeben: 3D in HFR, also die High Frame Rate mit 48 statt 24 Bildern pro Sekunde. Diese Technik ist umstritten, denn die doppelte Bildrate führt dazu, dass auf der Leinwand ein schärferes Bild zu sehen ist – es kann der Eindruck von unnatürlicher Schärfe entstehen. Alles auf der Leinwand wirkt intensiver ausgeleuchtet, es kommt für viele Zuschauer zum gefürchteten Soap-Opera-Effect: Da sieht dann Mittelerde aus wie eine Lindenstraße-Kulisse. Es gibt einfach zu viel zu sehen – der Blick ist nicht mehr gerichtet.
Peter Jackson hat sich in diesem Film im Zweifel immer für lange Action-Kampfszenen und nicht enden wollende Jump and Run-Sequenzen entschieden. Dazu hat er offenbar den Film in der 3D-Variante vergleichsweise hell produziert, um den Helligkeitsverlust durch die dunklen 3D-Brillen auszugleichen. Das führt zu einem Disneyland-Look: Man hat das Gefühl, im Filmset zu stehen – aber das führt nicht zu einer stärkeren emotionalen Bindung sondern ganz im Gegenteil zu einer Gleichgültigkeit, denn die Requisiten sind in der greifbar nahen, gnadenlos ausgeleuchteten Darstellung als Requisiten zu erkennen.
Suspension of Disbelief
Kommen wir zum Ende auf etwas ganz Grundsätzliches: Damit wir Kunst genießen können, müssen wir uns darauf einlassen, das für wahr zu halten, was offensichtlich nur ausgedacht ist. Wir legen unser besseres Wissen auf Eis, bei jedem guten Roman, bei jedem guten Film – Suspension of Disbelief heißt das. Das führte vor ein paar Tagen dazu, dass ich mir bei „The Hunger Games: Catching Fire“ dreimal die Augen vor den Kopf geheult habe. Wenn im Kino das Licht ausgeht, bin ich echt leicht zu haben.
Peter Jackson gelingt das nicht mehr. Fast drei Stunden saß ich im Kino und wartete auf etwas Kinomagie, auf ein bisschen Zauber. Vergeblich. Was das kleinste Off-Theater hinbekommt, kann Peter Jacksons gigantische Illusionsmaschine nicht mehr: Die Spezial-3D-Kameras, die Greenscreens – das ist alles nur Budenzauber, nur Kirmes, wenn ich nichts fühle. Ich glaube, HFR ist eine fantastische Technik … für Sportübertragungen. Und ich wünsche mir, Peter Jackson würde wieder einen kleinen zauberhaften Film machen. Damit ich währenddessen vergesse, dass ich im Kino bin.
Der Hobbit – Smaugs Einöde (The Hobbit: The Desolation of Smaug)
NZ/USA/UK 2013, 161 Min., Regie: Peter Jackson
Der Text steht unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: Thomas Laufersweiler/SchönerDenken
Andere Meinungen
Sehr lesenswert ist die Kritik von Filmosophie (sie ist die Begründerin des gleichnamigen Blogs filmosophie.com):
Unbedingt lesen: Thomas Groh (Perlentaucher) über das Herz des Films – begraben unter Gold:
Auch Bullion (moviescape) spricht mir aus der Seele: