Hendrik hat eine Leselücke geschlossen und sich den Roman Straße der Krähen von einem seiner Lieblingsschreiber, Iain Banks, einverleseleibt.
1.
Aus irgendeinem profanen Grund (evtl. der Tageshöchstdauer von 24h) hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich nun auch den letzten der mir noch unbekannten älteren Nicht-SF-Romane von SF-Großmeister Iain Menzies Banks von meinem hohen schmalen Baldlektürenstapel gegriffen und gelesen habe, den 1992 erschienenen Roman The Crow Road (Straße der Krähen). Und das trotz eines so schön typisch Banks’schen Einstiegs:
„Es war der Tag, an dem meine Großmutter explodierte.“ [S. 7]
Ausgehend von einem etwas makabren Unfall bei einer Trauerfeier entspinnt sich eine in Banks‘ schottischer Heimat angesiedelte Geschichte um eine weitverzweigte, alteingesessene Familie und deren Freundeskreis. Im Mittelpunkt steht (meist) Prentice McHoan, einer der jüngsten Angehörigen des Clans, der ständig pleite ist, mehr schlecht als recht Geschichte studiert, sich mit seinem atheistischen Vater verkracht hat, unglücklich in die völlig falsche Frau verliebt ist – und dann auch noch durch Zufall durch die wirren Aufzeichnungen eines auf Reisen verschollenen Onkels auf die Spur eines Mordes kommt, den einige Jahre zuvor jemand innerhalb dieser Familie womöglich an einem anderen Familienmitglied begangen hat.
2.
Der Roman lässt seinen Leser des Öfteren verwirrt eine Seite zurückblättern, weil er ständig zwischen den Generationen und Zeiten hin und her springt und dabei auch die Erzählerperspektiven wechselt. Die sich auf den rund 470 Seiten eher beiläufig entwickelnde Krimihandlung droht sich dabei in der anekdotischen Familiengeschichte, in Prentices Berichten von seinen unglücklichen Affären, endlosen Dialogen und auch zwischen den von Prentice dabei abgesonderten Bonmots zu allen möglichen Themen zuweilen zu verlieren. Außerdem wird ständig und zu jedem Anlass Whisky getrunken – ich erinnere eigentlich nur sehr wenige Romane (z.B. von Flann O’Brien), bei denen so beiläufig noch mehr davon konsumiert wird.
Im Unterschied zu den genüsslich-gigantophilen Kultur-Romanen von Banks steht das requisitäre Drumherum hier hinter der pointierten und meist sehr treffsicheren Charakterisierung der Hauptfiguren zurück. Aber ich hatte auch so genug zu tun, Prentices Eltern, Tanten, Onkel, Freunde, Cousins und Cousinen auseinandersortiert zu halten. Ferner streut Banks gerne Anspielungen auf die frühen 80er Jahre und natürlich auf die von ihm (und auf diesem Wege auch von Prentice) gemochte Phantastik ein:
„Hör auf! Ich [Prentice als Junge] funkelte ihn an. (Ich übte mich in letzter Zeit darin, den Leuten meine Gedanken zuzusenden, damit sie etwas für mich taten; es hatte schon vielversprechende Ansätze gegeben, aber das Ganze war erst im Anfangsstadium, und außerdem hatte ich zur Zeit ziemliche Startschwierigkeiten. Und dieser Mistkerl George Lucas hatte es bis jetzt nicht für nötig gehalten, meinen Brief, in dem ich ihn um Informationen über <Die Macht> bat, zu beantworten.)“ [S. 99/100]
Der zuweilen recht abschweifende Stil lässt erkennen, dass Banks dem Vorankommen der Handlung jederzeit das Einflechten eines schönen Vergleichsziehungseinfalls vorzieht:
„Das Hauptschlafzimmer in Mrs. Ippots riesigem Stadthaus enthielt ein Himmelbett für vier Personen, etwa von der Größe einer Doppelgarage. Die Schlaffläche lag ungefähr so hoch wie das Dach eines Minicooper, die Pfosten waren so dick wie Telegrafenmasten: hochglanzpoliertes Mahagoni, in das Feen, Elfen und Gnome geschnitzt waren, übereinandergestapelt wie kleine Karyatiden. Ich stellte mir gerne vor, sie wären das Werk eines indianischen Totempfahlschnitzers, der zuviel Tolkien gelesen hatte.“ [S. 396]
„Sie war in Ladakh, einem Ort, der so weit von allem entfernt war, dass es mehrere internationale Flughäfen, einen wichtigen Hauptbahnhof und größere Investitionen in ein Netz von achtspurigen Autobahnen gebraucht hätte, um ihn wenigstens als Arsch der Welt bezeichnen zu können.“ [S. 308]
3.
… aber das Buch hat auch Nachteile. Vor allem natürlich den, dass es vergriffen ist. Und es ist ganz sicher nicht Iain Banks‘ bester Roman – vermutlich einer seiner kurzweiligsten, trotz der Sprünge, aber sicherlich nicht ansatzweise so intensiv wie, sagen wir, Träume vom Kanal oder gar sein Debut Die Wespenfabrik. Am ähnlichsten kommt es vielleicht noch Verschworen (Verschworen sei – so wird im Nachwort Banks selbst zitiert – „ein bisschen wie Die Wespenfabrik, aber ohne das heitere Ende“), und von den beiden ist die Straße der Krähen das vermutlich schlechtere, weniger messerscharfe, zugleich unterhaltsamere Buch.
Im Nachwort zum Roman (von Sky Nonhoff) heißt es auch noch sehr schön und treffend, das Oeuvre von Iain Banks beweise vor allem, dass der Autor nicht bereit sei, zweimal denselben Roman zu schreiben. Auch steht da, für Banks sei die Literatur ein Spielbrett, auf dem man unendlich viele Züge machen könne.
So gesehen, kommt mir Straße der Krähen wie ein nettes kleines Backgammonturnier mit Kumpels vor: kein abendlicher Zeitvertreib, mit dem man intellektuell Eindruck schinden kann, aber Spaß hat’s gemacht, ein bisschen nachdenken durfte/musste man auch, es wurde viel getrunken, über Familie und Politik und Sex, ach ja, und einen Mord, nein, zwei Morde, geredet, alles etwas wirr, aber in netter Plauderstimmung, und am Ende des Abends war man rundum zufrieden.
Von Iain M. Banks lasse zumindest ich mich jederzeit wieder zu einem Spiel einladen. Dann aber wieder 3D-Schach!
Straße der Krähen (Crow Road) erschien 1996 beim Goldmann Verlag als Taschenbuch Nr. 8139 und ist leider längst vergriffen. Dank des Internets bekommt man ihn jedoch ganz gut antiquarisch – oder aber man liest ihn gleich im Original.
Und hier unsere Besprechungen anderer Bücher von Iain (M.) Banks:
Die Wespenfabrik, Träume vom Kanal, Die Aufsteigerin, Die Sphären, Ein Geschenk der Kultur.