The Future … revisited! SchönerDenken entkorkt alte Jahrgangs-SF und testet die Nachhaltigkeit des Bouquets wiederveröffentlichter alter Science Fiction-Filme. Hendrik kribbelt sich heute durch zwei Horror-SF-Klassiker der zweiten Reihe: „Them!“ (1954) und „Phase IV“ (1973).
Dinosaurier? Jede Menge. Spinnen? En masse. Wölfe? Sowieso. Auch zahlreiche andere Tierarten sind bereits Gegenstand filmischer Horrorszenarien geworden – Bienen, Schlangen, Kraken, Haie etc. etc.; aber meines Wissens haben sich nur zwei Filme jemals ernstzunehmend der kleinen, weltweit praktisch allgegenwärtigen Insekten um uns herum angenommen: der Ameisen. Beide sind Privatklassiker von mir, und ich feiere den Umstand, dass endlich auch der langverschollene „Phase IV“ (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Thriller „Phase IV – Spiel des Todes“ aus 2001) den Weg auf DVD gefunden hat, mit einer kleinen Horrorameisenwürdigung.
THEM! (1954, Regie: Gordon Douglas)
In den späten 50ern gab es eine entscheidende Hauptmethode, um tierische Bedrohlichkeit zu erzeugen – die schlichte Regel hieß: mach sie so groß wie möglich. King Kong, Godzilla, Tarantula – sie alle gehörten nicht nur jeweils einer Spezies an, die ohnehin auf den Menschen beunruhigend wirkt, sie mussten außerdem auch noch monströse Ausmaße annehmen, um wirklich zur Bedrohung zu werden, und den Menschen nicht nur irgendwo in der Wildnis attackieren, sondern ihn in seinen vermeintlich sicheren, entwildeten Lebensräumen, den Häusern und Städten angreifen zu können. Erst dann war es eine Bedrohung, die als Kinofilm funktionierte, erst dann gab es eine echte Gefahr, und erst dann machten die Effekte Spaß. Tarantula musste über dem einsamen Highway emporragen wie ein Berg, Godzilla durch die Hochhäuser Tokyos hindurchstampfen wie durch hohes Gras, und King Kong musste die Propellermaschinen mit der Hand auffangen – nur dann war in besonderer Weise der sense of wonder geweckt.
Der gleichen Tradition folgt der 1954 gedrehte, verheißungsvoll nichtssagend betitelte U.S.-Horrorfilm „Them!“, der im Deutschen unter dem etwas nüchternen Namen „Formicula“ und im Französischen unter dem theatralischen Titel „Des Monstres Attaquent la Ville“ bekannt wurde.
Wieder einmal sind es Atomtests, mit denen der Mensch selbst die Mutation einer an sich für ihn harmlosen Tierart hervorruft, die dann auch prompt bald das erste Opfer fordert. Der Film ist ein perfekt umgesetzter Lehrbuch-Horrorfilm, der mit einem Rätsel beginnt, die Ungläubigkeit der ersten Zeugen des Geschehens auf den Zuschauer überträgt, dann Spannung aufbaut, bis das erste Monster erscheint, einen Helden, einen verschrobenen Wissenschaftler und dessen hübsche Tochter aufweist, eine frühe, natürlich nur vermeintliche Lösung anbietet, die Situation eskalieren lässt und erst ein Ende zu finden vermag, wenn sich die Hauptfiguren zu einem direkten Showdown in die Höhle der Ungeheuer begeben.
Das alles war 1954 noch nicht ganz so abgegriffen wie 2012, und deswegen hat es funktioniert. Es funktioniert, nebenbei bemerkt, auch heute noch, wenn es im Kern gut gemacht und mit einem interessanten Dreh(buch) versehen wird. Natürlich sind die Tricks aus heutiger Perspektive eher drollig, und die Opfer der doch recht behäbigen Monster müssen meistens ziemlich lange herumstehen und schreien, bis sie endlich erwischt werden. Aber was mir in Erinnerung geblieben ist, ist neben der einprägsamen Einstiegsszene um das kleine, im Schock durch die Wüste irrende Mädchen jenes hohe vibrierende Pfeifen, das verwendet wurde, um die Nähe der Monsterameisen akustisch zu begleiten. Eigentlich ist dies überhaupt der einzige akustische Eindruck, der von diesem Film hängenbleibt, denn der Rest – inkl. fast aller Dialoge – ist unspektakulärer Genrestandard:
„Und ich dachte wir hätten ihr Ende erlebt.“ – „Nein. Wir haben nicht ihr Ende erlebt – im Gegenteil, wir haben den Anfang von dem erlebt, was für uns das Ende sein kann. Wir müssen Washington informieren.“ (fester Textbaustein aller U.S.-Monsterfilme 1950ff.; hier aus: „Them!“)
Einzige Ausnahme von diesem Standard bildet womöglich ein Kurzvortrag, den der Professor den Militärs hält und indem er darauf verweist, dass Ameisen eine viel ältere und verbreitetere Lebensform als der Mensch sind – und neben dem Menschen die einzige, die Kriege führt. Aufgegriffen wird das in der weiteren Handlung jedoch nicht, statt dessen entwickelt sich eine weltweite Suche nach dem Ziel der beiden entflohenen Ameisenköniginnen.
Insgesamt lässt sich „Them!“ heute als schönes, eher typisches als besonders originelles Beispiel eines handfest gemachten SF-Horrors genießen, wenn man gerade in der Stimmung für genau diese Art Film ist. Wer dann „Them!“ gesehen hat, hat allerdings im Prinzip auch z.B. „Tarantula“ gesehen, denn der stammt aus dem gleichen dramaturgischen Baukasten.
Im Verkostungsvokabular ausgedrückt, würde ich den Film als ein Geschmackserlebnis bezeichnen, das ein rundes, volles Aroma besitzt, an dem jedoch die Lagerung nicht völlig spurlos vorbeigegangen ist, denn Effekte, Dialoge, Charaktere und Szenarien wirken doch im Nachgang etwas angestaubt. Es gibt weit alterslosere Guckvergnügen. Dennoch: solides Filmhandwerk ist „Them!“ allemal. Und wenn ich mich einiger Beispiele aus meiner unsortierten (An)Sammlung wirklich essigsaurer Horrorfilme dieser Zeit entsinne („The Wasp Woman“ oder „Kong Island“), kommt „Them!“ noch ausgesprochen gut weg.
PHASE IV (1973, Regie: Saul Bass)
1973 wurden natürlich immer noch Monsterfilme nach dem obigen Schema gedreht, aber – vielleicht u.a. dank Alfred Hitchcock („The Birds“) und Michael Crichton („The Andromeda Strain“) – man hatte zwischenzeitlich begriffen, dass es auch subtiler ging. Die Bedrohung musste nicht mehr zwingend physisch besonders groß sein, um den Menschen – längst Herrscher über alles, was seine eigene Gewichtsklasse hat – wirklich herausfordern zu können. Die Bedrohung konnte viel mehr unter die Haut gehen, wenn sie sich diesen Kategorien gänzlich verweigerte – bzw. sie umkehrte.
Beim Kampf der Menschen gegen Godzilla und King Kong sind zuletzt diejenigen die Gewinner, welche zwar nicht die größere Kraft haben, sondern die in der Überzahl sind und die effektivere Strategie und Technologie entwickelt haben. Beides gemeinsam macht den Größenunterschied beim Showdown mehr als wett, und der Mensch siegt in der Tradition Davids und Odysseus‘.
In „Phase IV“ treten jedoch nicht Kraftprotz gegen Kraftprotz(e), sondern zwei völlig verschiedene Formen von Intelligenz gegeneinander an, und daher ist auch die Art des Kampfes eine völlig andere. Die Eigenschaften, die der Mensch bislang als seine größten Stärken betrachtet hat, nämlich seine Individualität und seine komplexe Technologie, erweisen sich hier als seine größten Schwachpunkte. Die Ameisen unterlaufen die komplexe Technologie mit einfachsten Mitteln, und es ist der sie steuernden Gemeinschaftsintelligenz dabei völlig egal, ob ein paar Millionen Exemplare dabei draufgehen; der schlichten Arithmetik des 1+1+1+1+1+ … (bis unendlich) hat auch der bewundernswerteste individuelle Heroismus, die größt- und markantestgedruckte alleinstehende 1! nichts entgegenzusetzen.
In „Phase IV“ haben die Menschen im Unterschied zu „Them!“ mit der Veränderung der Ameisen nichts zu tun, sondern die Ursache ist kosmischer Art. Eine Gruppe von Forschern untersucht haushohe mysteriöse Gebilde, die sich plötzlich in der Nähe ihrer abgeschiedenen Forschungsstation finden lassen. Sie finden rasch heraus, dass diese von Ameisen erbaut wurden, die offenbar eine völlig neue Art von Intelligenz entwickelt haben. Doch ehe der Versuch, mit dieser neuen Intelligenz in einen Dialog zu treten, Erfolg haben kann, entwickelt sich auch schon der Konflikt.
Menschen haben in diesem Film nicht nur die Monster nicht selbst erschaffen, es gibt auch keine Pappmachéungetüme oder eigentlich ‚Monstereffekte‘. Regisseur Saul Bass arbeitete mit damals einmaligen Dokuaufnahmen von Ameisen, und die verband er so geschickt mit der Filmhandlung, dass eins ins andere greift.
Und während in „Them!“ eben letzten Endes doch wieder einfach der physisch Stärkere siegt, wenn diese Stärke nur mit genügend selbstaufopferndem Heroismus gewürzt ist, macht es sich „Phase IV“ nicht so leicht und liefert ein – hier im Detail mal nicht verratenes – vielschichtigeres Ende. Als besonders beeindruckend empfand ich seinerzeit auch den unbequemen, aber höchst passenden elektronischen Soundtrack.
Den Livemitschnitt einer Privatverkostung von „Phase IV“ mit einem viel ausführlicheren Gespräch über den Film liefern wir morgen.
Für nun, für mich ganz persönlich und im direkten Vergleich mit „Them!“ erweist sich „Phase IV“ als ein richtig gut gemachter, wenngleich nicht gerade visionärer Tropfen, der zwar seine Schwächen hat, aber einige hochinteressante Alternativen zu den gesicherten Haupttrampelpfaden des Genres vorstellt. Saul Bass hat mir mit diesem Film einige Bilder hinterlassen, die jahrzehntelang später noch nachhallen – mit der gleichen Deutlichkeit des sterbenden Sol in „Soylent Green“, der verwahrlosten Bibliothek in „Logan’s Run“ oder der Mikroskopaufnahmen in „Andromeda Strain“. „Phase IV“ ist kein klassischer Vertreter seines Genres und kein abseitiger Geniestreich wie „2001“, aber ein Film, dessen Eigenwilligkeit man würdigen sollte und damit ein anregendes Randaroma, das mal zu verkosten ich zumindest jedem Genrefan nur ans Herz legen kann.
„Phase IV“ von Saul Bass teilt sich übrigens mit dem anderen stillen SF-Klassiker „Silent Running“ von Douglas Trumbull die Eigenschaft, die einzige Kinoregiearbeit eines Profis zu sein, der später noch an sehr vielen großen Produktionen im Hintergrund mitwirkte – im Falle von Saul Bass als Titel-, Plakat-, Vorspann- und Storyboarddesigner.