Die Delegation (doppelt): Unheimliche Begegnung der leicht verstaubten Art

Das neue Jahr beginnt mit einer doppelten Packung: Hendrik und Thomas schauen sich zusammen „Die Delegation“ an, ein Film von Rainer Erler aus dem Jahr 1970, den Hendrik durch Zufall aufgestöbert hatte. Statt sich – wie abgesprochen – die Rezension aufzuteilen, schreiben sie beide eine vollständige Kritik. Macht da jetzt die eine die andere überflüssig? Oder ergänzen sie sich? Die beiden entscheiden sich für einen synchronoptischen Beitrag: 1 Beitrag = 2 Rezensionen. Viel Spaß 🙂

Hendrik – nimmt einen kleinen Umweg über die Haarpflegeabteilung, um die Vorzüge von Rainer Erler zu erklären:

I. Um ein guter Regisseur zu werden, sollte man ein Praktikum bei einem begabten und erfolgreichen Vertreter für Haarwuchsmittel absolviert haben. Denn alle anderen wesentlichen Kompetenzen eines Regisseurs – von dem rein technischen Wissen bis zur Kompetenz, ein meist vor allem aus Künstlerindividuen bestehendes Team bei der Stange zu halten – sind vergeudet, wenn ihm eine Fähigkeit nicht gegeben ist: die Gabe nämlich, den Zuschauer dazu zu bringen, ihm in das, was er erzählt, folgen und ihm glauben zu wollen.
Wie kann einem Regisseur das gelingen? Naürlich, indem er uns neugierig macht, denn unsere eigene Neugier ist das Äquivalent des erfolgreich in die Tür geschobenen Vertreterfußes: Gibt es tatsächlich eine ganz neue Wundersubstanz, die unserem ergrauenden und schwindenden Haar neue Kraft und Fülle verleiht? Gibt es da tatsächlich eine spannende Geschichte, von der wir uns gemeint fühlen möchten?

Ich bin sicher, irgendein Vertreterhandbuch enthält den Rat, den Kunden zunächst dort abzuholen, wo er mit seiner Erfahrungswelt und mit seinen Emotionen steht: ‚Ja, auch Sie haben schütteres Haar, und auch Sie sind skeptisch gegenüber dem, was ich Ihnen zu erzählen versuche: dass es da das brandneue Lockophil aus der Weltraumforschung gibt, und wenn ich Ihnen nur ganz kurz mal vorführen dürfte…‘ – und wenn der Vertreter gut ist, steht er jetzt schon bei uns im Flur.

Rainer Erler ist meines Wissens nie Vertreter für Haarwuchsmittel gewesen, sondern hat sich statt dessen für den Beruf eines Regisseurs entschieden. Und jetzt steht er mit seinem bereits 1970 gedrehten Spielfilm <Die Delegation> vor meinen Augen und muss mich da abholen, wo ich stehe, damit ich neugierig werde, seiner filmischen Erzählung folge und ihm seine Fiktion ‚abkaufe‘.

Ein Film wie, sagen wir, <Signs> mit Mel Gibson in der Hauptrolle, holt uns erstmal bei unseren Gefühlen ab, bei unserer Freude daran, unterhalten zu werden, eine Geschichte erzählt zu bekommen, Dramatik zu erleben, tolle Effekte und Stars zu sehen und vielleicht für die Dauer des Filmes ein wenig an das zu glauben, was erzählt wird: bereitwillig die Prämissen der Geschichte zu akzeptieren und womöglich nach dem Abspann ein gedankliches Echo in Form eines schulterzuckenden „Najaa, könnte doch sein, immerhin gibt es da ja diese Kornkreise…“ an sich selbst zu bemerken.

<Die Delegation> dagegen ist kein Film, der ständig mit Effekten und Stargesichtern darauf verweist, dass es hier um eine frei erfundene Geschichte geht. Im Gegenteil: Erler legt viel Wert darauf, den Eindruck von Authentizität zu erwecken. Er holt uns bei unserer Skepsis ab. Er versucht nicht, uns in eine fiktive Welt zu locken, sondern umgekehrt das Fiktive in unserer eigenen Welt hervorzukitzeln.

II. <Die Delegation> präsentiert sich nicht als ein Spielfilm, sondern als die Sondersendung eines Wissenschaftsmagazins, das den Zuschauern das Vermächtnis des kürzlich verstorbenen Journalisten Will Roszinsky vorführt: die unvollendeten Film- und Tonfragmente einer Reportage, in deren Verlauf jener Journalist quer durch die Welt der Frage nachspürt, ob die Erde nicht vielleicht längst Besuch von anderen Welten erhalten habe.

Dieses Reportagematerial beginnt unspektakulär: Roszinsky begibt sich auf die Suche nach der wissenschaftlich fundierten Antwort auf die Frage, was das Erscheinen dreier Radarsignale am Himmel zu erklären vermag, die auf Fluggeräte schließen lassen, deren Bewegungsmuster von keinem bekannten menschlichen Gerät vollzogen zu werden vermögen.

Er besucht zunächst einen Ufologenkongress, führt einige Interviews mit Veranstaltungsteilnehmern und ist offenbar bemüht, deren teils recht versponnene Aussagen sich selbst entlarven zu lassen und nicht zu offensichtlich zu werten. Denoch gerät er zu dem Schluss, dass die Selbstverständlichkeit, mit der dort die Existenz von UFOs akzeptiert wird, ihm nicht als Beweis ausreichen kann. Er reist daher selbst in die U.S.A., um die Quellen und Zeugenaussagen aus erster Hand zu überprüfen. Doch jedes Indiz, das er dort vorfindet, führt immer nur zu weiteren Indizien: die von ihm interviewten Offiziellen machen einigermaßen merkwürdige Andeutungen oder hüllen sich in Schweigen, die von ihm befragten Augenzeugen vermögen seine Fragen ebenfalls nicht abschließend zu beantworten; stets bleibt ein Rätsel offen, ein unerklärtes Phänomen fragwürdig, und R. verbeißt sich in die Suche nach der letzten und abschließenden Wahrheit.

Längst hat sein Sender ihn aufgefordert, das Thema fallenzulassen, aber Roszinsky ist die Suche mittlerweile ein persönliches Anliegen: Gab und gibt es tatsächlich Besuche von Delegationen außerirdischer Völker, oder stimmen die Augenzeugenberichte von UFO-Sichtungen aus ganz anderem Grund so gut miteinander überein – „Die Leute haben wieder und wieder in der Zeitung gelesen, was sie gesehen haben“, so spricht er an einer Stelle auf sein tragbares Tonbandgerät, und vielleicht hätten die Medien die Wahrheit, über die sie da berichten, damit selbst geschaffen. Und doch scheint es unwiderlegliche Beweise zu geben: Photos von seltsamen humanoiden Gestalten, aufgenommen am Rande einer einsamen Straße von einer Frau, die sich gar nicht erinnern kann, diese Bilder gemacht zu haben, jedoch dafür in ihrer Handtasche ein kleines Gerät vorfindet, das den Wissenschaftlern ein Rätsel ist…

R’s Aufzeichnungen werden fragmentarischer, seine Suche verzweifelter. Längst ist der Punkt überschritten, an dem Roszinsky noch glaubte, mit der beschlipsten Souveränität des Rationalisten den Wunderglauben an UFOs entlarven zu können: er ist nun auf der Jagd nach der Wahrheit, rücksichtslos getrieben von der Angst vor dem, was er finden könnte…

Zwischendurch als Kontrast: rückblickende Studiointerviews mit Roszinskys Frau, mit seinem irgendwann im Verlauf der Recherche gefeuerten Kameramann. War er doch ein verkappter Spinner? Psychisch labil? Es scheint nicht so, aber dann…

III. <Die Delegation> beweist mir, dass Rainer Erler einen sehr guten Vertreter für Haarwuchsmittel abgegeben hätte. Mit einer Konsequenz, die ich einem Film von 1970 schlicht nicht zugetraut haben würde, setzt er den gewählten Rahmen einer Pseudodokumentation um und nimmt damit Filmen wie <The Blair Witch Project> oder <Cloverfield> diese dramaturgische Besonderheit um mehr als 25 Jahre vorweg.

Eigentlich ist mir überhaupt nur ein noch älteres phantastisches Werk bekannt, dass in dieser Konsequenz vorgegangen ist, und das ist natürlich das Orson Welles’sche Hörspiel <War of the Worlds>, dessen strikte Anlehnung an den tatsächlichen Nachrichtenstil seiner Zeit 1938 zumindest fast (hier gibt es ein gewisses Maß an Legendenerfindung) zu einer Massenpanik geführt hätte.

Rainer Erler geht ebenfalls strikt konsequent vor: die Sondersendung, in deren Rahmen Roszinskys Aufzeichnungen präsentiert werden, entsprechen dem Stil dieses zeitgenössischen Sendungsformats, die Ton- und Filmmitschnitte Roszinskys überzeugen völlig als das ungeschnittene Rohmaterial eines fahrenden Teams: das Vorher und Nachher jeder Szene, die das Team für die Reportage dreht, Roszinskys gestische Anweisungen, seine gelegentlichen redaktionellen Sprechnotizen auf Band, Momente, in denen die Kamera eigentlich nicht hätte laufen sollen.

Erler inszeniert dieses Material völlig authentisch, die gezeigten Menschen, mit denen Walter Kohut als Will Roszinsky interagiert, sind vermutlich nicht einmal immer Schauspieler, z.B. wenn der Journalist in den U.S.A. in radebrechendem Englisch Passanten zum Thema UFOs befragt. Die verschiedenen Akzente der Sprecher, wechselnde Tonqualitäten, Aufnahmeaussetzer, ja selbst der Stil der Kameraführung (Roszinsky sucht sich nach der Entzweiung von seinem offiziellen Kameramann einen neuen Begleiter) sind Bestandteile der Authentisierung und damit der Figur Roszinskys und der Fragestellung, die ihn mehr und mehr von seiner rational dominierten Weltsicht entkleidet und zuletzt das Leben kostet.

Ganz in der Tradition vieler phantastischer Erzählungen des 19. Jahrhunderts – schafft Erler einen pseudodokumentarischen Rahmen, der unseren Zweifel aufgreift und moderiert. Der Erzähler, der in diesem Rahmen auftritt, ist selbst gar nicht derjenige, der uns irgendetwas glaubhaft machen will: auch der Moderator jener Sendung, in der die letzten Aufzeichnungen Roszinskys dem Publikum vorgeführt werden, kann seine Skepsis nicht verbergen. Und so wird unsere eigene Skepsis geschickt herumgedreht und zu einem Bestandteil der Authentisierung des Phantastischen umgemünzt – ‚Lassen Sie sich nichts erzählen, probieren Sie es selbst aus, die Flasche kostet, weil Sie es sind, nur 4,95 €‘.

Der vielseitige Walter Kohut erweist sich in diesem Film als eine äußerst geschickte Wahl, denn der Schauspieler ist – zumindest für mich – hier ein zunächst nichtssagendes ‚Nachrichtensprechergesicht‘, typisch für die 70er, ein austauschbarer Typ mit Anzug, Krawatte und Hornbrille; erst als Roszinsky im Verlauf seiner Ermittlungen auch in zunehmendem Maße diese Rolle ablegt und die mitlaufende Kamera zuweilen eben auch ‚inoffizielle‘ Momente Roszinskys zeigt, tritt hinter dieser Ganzkörpermaske ein Mensch hervor: der professionelle Beobachter und ’stellvertretende Zeuge‘ Journalist („Ich stehe hier an genau der Stelle, wo…“) wird persönlich Betroffener. Und ich werde sogar Zeuge genau jenes intimen Momentes, in dem der Skeptiker Roszinsky seine Souveränität aufgibt, seine Maske fallenlässt und sich der Eigenbewegung der Ereignisse überlässt. Sein vermeintlich festgefügtes Weltbild erweist sich als Theaterdekoration, und um überhaupt wieder festen Boden unter den Boden spüren und etwas wirklich wissen zu können, muss er seine Jagd nach der Wahrheit hinter den UFO-Phänomenen um jeden Preis zuendeführen. Es zählt definitiv zur gehobenen Schauspielkunst, diese Wandlung zu vermitteln, und Walter Kohut beweist sich mir hier – leider postum, da verstorben, lange bevor ich den Film kannte – als einer, der das konnte.

Wie ’schmeckt‘ der Film heute?

Der Nachteil der pseudodokumentarischen Methode, die Erler gewählt hat, ist bedauerlicherweise der, dass sie nicht zeitlos sein kann und gebunden ist an die Vertrautheit des Betrachters mit den Fernsehkonventionen von 1970. Da der Film einen Gutteil seiner Wirkung durch diese Vergleichbarkeit erreicht, müsste man, um den Film diese unmittelbare Wirkungsebene nicht einbüßen zu lassen, ihn eigentlich alle paar Jahre neu drehen, und das geht leider nicht.

Dennoch freue ich mich sehr, dieses Schmuckstück deutscher SF-Filmgeschichte kennengelernt zu haben (ich gestehe: im Amazon-DVD-Restepostenverkauf, und auch da nur per Zufall), auch wenn der Film heute etwas angejahrt wirkt.


Thomas – denkt an Fox Mulder und dessen Motto „I want to believe“ und fragt sich, was man Erler glauben kann.

„Der Film (…) hatte eine hohe Einschaltquote und erregte beträchtliches Aufsehen, weil er wie eine Dokumentation wirkte. Aus den Zuschauerreaktionen ging hervor, dass manch einer die Geschichte für bare Münze nahm.“
aus: Wikipedia

Eine Dokumentation erhebt den Anspruch uns die Wirklichkeit zu zeigen, zumindest einen Ausschnitt davon. An eine „gefakte“ Dokumentation stelle ich den Anspruch, dass sie eine Illusion von Wirklichkeit erzeugt, die ich glauben kann, zumindest über einige Zeit. Gerade beim Thema UFO gilt für mich die Devise von Fox Mulder: „I want to believe“. Die so genannten Mockumentaries stehen zumeist im Dienste der Parodie oder der Satire – richtig spannend wird es aber immer dann, wenn der satirische Blick in den Hintergrund tritt und Platz macht für eine überzeugende Imitation der Realität. Da hatte Rainer Erler 1970 keine Vorgänger – aber Mitstreiter: Im gleichen Jahr zeigte die ARD „Das Millionenspiel“, in der ein TV-Show-Kandidat eine Woche lang vor Auftragskillern flüchten muss – vor den Augen des Publikums.

Wie ist es denn nun um die Überzeugungskraft von Rainer Erlers „Die Delegation“ bestellt? Nach fast 40 Jahren kann man sagen: erstaunlich gut. Erler steigt ein mit einer TV-Reportage des österreichischen Reporters Roczinski, der Fakten einer UFO-Sichtung präsentiert und dann mit einem leicht sarkastischen Tonfall beklagt, dass die Außerirdischen immer schon entschwinden, bevor Fernsehteams sie auf Film festhalten könnten. Unterbrochen wird die Reportage von einem Moderator im Studio der Sendung „Das aktuelle Forum“. Und die Älteren unter uns werden sich noch erinnern: Ja, genau so war das Fernsehen 1970.

Der von Roczinski besuchte „Internationale Weltkongress der UFO-Forscher“ schließlich sieht deswegen so real aus, weil es ihn 1967 tatsächlich gegeben hatte – im Elzer Hof in Mainz. Die dort gesammelten O-Töne verlassen das Genre „Mockumentary“ – die Gesprächspartner sind echt, selbst der legendäre Raketenforscher Hermann Oberth – die Angesprochenen antworten dem Roczinski-Darsteller Walter Kohut wie jedem anderen realen Pressevertreter. Und Erler gelingt es, diese Fiktion lange aufrecht zu erhalten. Auch als Roczinski in die Vereinigten Staaten reist, dort von wütenden UFO-Zeugen aus dem Haus geworfen und bedroht wird, sorgt nicht zuletzt die wackelnde Schulterkamera für überzeugende Bilder.

In Kanada lässt Erler seinen Protagonisten neues Beweismaterial entdecken, immer blickt die Schulterkamera dabei Roczinski und den Zeugen über die Schulter. Erler inszeniert mit so sicherem Gefühl, dass er ganz nebenbei auch noch den schrittweisen Gesinnungswandel des kritischen, fast etwas zynischen Reporters zum „UFO-Gläubigen“ sichtbar macht. Als Roczinski Brandspuren an einer UFO-Landestelle findet, winkt er die Kamera weg von sich – jetzt will er seine Gedanken sortieren.

Dann setzt Erler Ausschnitte aus einem Tonbandtagebuch ein – dramaturgisch mögen sie sinnvoll sein, aber die Stimme Walter Kohuts klingt hier, als würde er einen SF-Roman vorlesen. Die Illusion von Fiktion ist aufgehoben. Einmal herausgerissen, dauert es eine Weile, bis man sich wieder in den dokumentarischen Elementen verliert. Dabei hilft Erlers Auge für liebevoll eingesetzte Details, z.B. die wegfliegenden Fotoabzüge, als der Augenzeuge stolz seine Aufnahmen präsentiert. Oder der fehlende Ton, wenn der Kameramann dreht und Roczinskis Tonbandgerät nicht eingeschaltet oder zu weit von der Kamera entfernt ist. Da hat „Die Delegation“ seine stärksten, intensivsten Momente.

Gegen Ende steigt die Dramatik an und Erler erzeugt eine Atmosphäre wie in „Unter dem Vulkan“ oder wie im „Herz der Finsternis“ – die Illusion steht da nicht mehr im Vordergrund. Die leidet ohnehin am stärksten darunter, dass wir eine Realität von 1970 abgebildet sehen, die wir nicht selbst erlebt haben – oder an die wir uns zumindest nicht erinnern können. Was uns da heute unrealistisch erscheint, ist zum Teil in Wirklichkeit reales Element einer unbekannten, fast vierzig Jahre fernen Welt.

Letztlich sollte man die Diskussion um die Überzeugungskraft dieser gefälschten Dokumentation nicht zu weit treiben. Man verliert sonst aus dem Blick, wie wunderbar der Film immer noch als Spielfilm funktioniert, wie souverän Erler als Regisseur mit diesem Stoff umgeht, wie intensiv Walter Kohut den Reporter Roczinski zum Leben erweckt, wie eigenartig der spezielle Charme dieses Films ist. Und wie wichtig das Thema sind, das Erler hier anspricht: Wie sehr ist unsere Wahrnehmung gesteuert von dem, was wir glauben wollen oder verleugnen?

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Ausführliche Informationen in der Wikipedia.

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