Die Monopoly-Insel Guernsey: Spielwiese für Sorgenlose und Sorglose

Haus auf Guernsey / Foto: Saskia Bosch van Rosenthal / Creative Commons BY 2.0


Folge 839
PJ spaziert auf Guernsey, interessiert sich für Immobilienspielregeln und liest Victor Hugo
Länge: 13:13


PJ ist für uns auf der Insel Guernsey unterwegs, beobachtet – und liest.

Man müßte ein wenig Portugiesisch oder Bulgarisch beherrschen, dann hätte man es leichter mit dem Servicepersonal in den Pubs, Restaurants und Hotels auf der Insel Guernsey. Denn die englisch sprechende Gesellschaft arbeitet höchstens als Handwerker und renoviert Häuser. Die anderen tun das, was wohlhabende Menschen tun; sie investieren, geben Geld aus und verdienen womöglich gleichzeitig wieder welches.

Ja das Geld! Ein Drittel des Etats wird mit Finanzdienstleistungen erwirtschaftet. Hinter seriösen Fassaden residieren rund 50 Banken, die geplagten Reichen helfen, Geld zu sparen. Wie man sagt, hier wird das Geld „laundred“. Ab 1066 gehörten die Kanalinseln Wilhelm dem Eroberer, also der britischen Krone, bis heute geniessen sie diesen Sonderstatus. Das Guernsey-Pfund sieht aus wie das britische Pfund, gilt aber in dem großen Monopoly-Spiel nur auf Guernsey.

Die eher älteren Reichen leben hier nach ihren Spielregeln: Eigene Nummerschilder an den Autos, keine Kfz-Steuer, sündhaft teure Häuser. Wer eben mal eine Million Euro (oder mehr) zur Verfügung hat, kann in das Insel-Monopoly einsteigen. Im „Open Market“ findet er die Immobilien, die für Auswärtige zum Verkauf stehen. Damit hat er sozusagen die Eintrittskarte für die Monopoly-Insel gelöst. Auch wenn das Häuschen klein, renovierungsbedürftig und schrammelig ist – er ist drin und kann mitspielen; ein wenig zumindest. Denn noch ist er keine Resident, das wird er erst nach 5 Jahren. Dann kann er sich um die Guernsey-Staatsbürgerschaft bewerben und deren Vorteile geniessen. Z.B. keine Kfz-Steuer zahlen, keine Mehrwertsteuer zahlen, eigentlich gar keine Steuer mehr zahlen und seine Immobilie kann er wieder verkaufen, wenn er im „Local Market“, der nur für die Guernsey-Residents zugänglich ist, eine neue gefunden hat. Die kostet ihn dann nur ungefähr halb soviel wie im „Open Market“. Das nennt man Inselpolitik á là Monopoly …

Dennoch – die Insel ist für Touristen ein Erlebnis; die engen Straßen, von Mauern oder tunnelartigen Hecken begrenzt, bilden ein Labyrinth mit besonderem Charme. Eine Wanderung auf dem Cliff Path entlang der Südküste verschafft dem Auge immer wieder neue, spektakuläre Ausblicke auf schroffe Felsen, gischtende Brandung und brütende Meeresvögel.

Am einfachsten ist eine Inselrundfahrt mit der Linie 91 oder 92, rechtsrum oder linksrum. Für ein Pfund blickt man über Mauern und Hecken in die Vorgärten der zierlichen Häuser oder auf der anderen Seite über die Strände der Nordwestküste Guernseys. Ein Symbol der vertrauensseeligen Inselidylle sind die „Hedgestalls“. Darin bieten (Hobby-)Gärtner ihre Produkte an, darauf vertrauend, daß die Abnehmer die geforderte Bezahlung in der „Honestybox“ deponieren. Und so mancher läßt stets den Autoschlüssel stecken, weil er sonst nicht mehr weiß, wo er ihn verstaut hat.

Von einem Leihwagen ist abzuraten, es kostet nur Nerven, sich in dem Straßengewirr zurecht zu finden und man ist gebranntmarkt – das knallrote große „H“ (für hired) wird von Einheimischen gerne mit „Helldriver“ oder „Help me, I don’t know where to go“ übersetzt.

Eine Folge der fehlenden Kfz-Steuer: Gut 60-tausend Insulaner besitzen eben so viele Autos (oder mehr), die engen Straßen sind regelmässig verstopft, vor allem in der Hauptstadt St. Peter Port, Radfahrer und Fußgänger leben gefährlich, von Inselidylle keine Spur.

Aber die Gerüstbauer haben Konjunktur, überall werden Gebäude eingerüstet und renoviert. Wer noch nicht gekauft hat, aber schon mal üben möchte, kann sich für rund 30.- € das Monopoly-Spiel in der Guernsey-Version kaufen.

Die Franzosen haben – vor allem zur Zeit Napoleons – immer wieder versucht, die Kanalinseln Jersey und Guernsey zu erobern. Es ist ihnen nie gelungen. Vielleicht war das der Anstoß für Victor Hugo, diese Inseln für sein Exil zu wählen. Er hatte sich 1851 gegen Napoleon III. aufgelehnt, der sich zum Kaiser auf Lebenszeit etablieren wollte.

Er wurde verbannt, ging erst nach Jersey und dann nach Guernsey. Heute dürfte das Hauteville Haus in St. Peter Port das einzige Territorium auf den Kanalinseln sein, das wirklich in französischer Hand ist. Es gehört als kulturelles Erbe zum Nationalmuseum in Paris, wird von französisch sprechenden Angestellten betrieben, die auch die Führungen machen. Eine Führung lohnt sich, denn der phantasievolle Geist Hugos hat sich überdeutlich in der Inneneinrichtung niedergeschlagen. Trotz Exil durften seine nicht-politischen Werke weiter in Frankreich verkauft werden, das Geld rollte also reichlich weiter und Hugo konnte sich somit extravagante Eichenholztäfelungen, Tapisserien, Kacheln und andere Individualismen leisten.

Dennoch – er litt unter dem Exil und brachte dies durch Inschriften im Eichenholz und anderen Reminiszensen sich selbst immer wieder vor Augen. Andere Exilanten haben schon wesentlich armseliger leben müssen.

Der Insel mit ihren Riffs, gefährlichen Felsen, ihren Einwohnern und dem ständigen Einfluss des Meeres rundum hat er in seinem Buch „Die Arbeiter des Meeres“ ein Denkmal gesetzt. Fährt man an einem sonnigen Vormittag mit der kleinen Fähre von St. Peter Port zur vorgelagerten Insel Herm, dann kann schnell Nebel aufziehen, der im Nu die Sicht auf die vielen Klippen im Wasser verdeckt. Felsen, die zuhauf unter Wasser liegen, bleiben von Anfang an verborgen.

Die Gewässer in diesem Teil des Meeres sind die gefährlichsten weit und breit. Hugo setzt dies in seinem Roman um und entwickelt einen spannenden Plot, in dem die real existierenden Felsen „Les Douves“ und „Hanoi“ eine wichtige Rolle spielen. Gerade der Hanoi-Felsen mit seiner Klippenlandschaft an der Südwestspitze Guernseys spielte über Jahrhunderte eine traurige Rolle. So viele Schiffe zerschellten in dem Kliffgewirr, daß ein eigenes Museum, das „Shipwreck-Museum“ dadurch seine Existenzberechtigung erhielt.

Wenn das Wetter umschlägt, ein Orkan aufkommt, dann wird es ernst für den Seefahrer. Hugo hat diese Naturbeobachtung detailreich umgesetzt.

„Das Wüten des Unwetters begann. Es war ein entsetzlicher Anblick. Platzregen, orkanartiger Sturm, Wetterleuchten, Blitze, bis zu den Wolken hinaufschäumende Wellen, Donnerschläge, Krachen, Pfeifen, Heulen, Toben, alles auf einmal. Ein Heer von Ungeheuern schien entfesselt. Der Wind blies aus voller Kraft. Der Regen fiel nicht, er strömte herab … Die Wucht des Orkans wuchs immer noch. Das Unwetter entlud sich Schlag auf Schlag. Dies ist seine Stärke und zugleich sein Fehler. Seiner Wut gegenüber ruft der Mensch seine Intelligenz zur Verteidigung auf. Aber unter welch vernichtenden Umständen! Da gibt es keine Ruhe, keine Unterbrechung, keinen Stillstand, keinen freien Atemzug. Eine niederträchtige Verschwendung liegt in dieser unerschöpflichen Angriffslust. Es ist die Lunge des Unendlichen, die hier ihren Atem verausgabt.“

„Die Arbeiter des Meeres“ sind Teil einer Triologie, in der Hugo die drei Gewalten darstellen wollte, denen der Mensch unabänderlich unterworfen ist: Hier ist es die Natur mit ihren Mächten, in „Les Miserables“ sind es die Gesetze des Staates und im „Glöckner von Notre Dame“ sind es die Gebote der Religion.

Die Inselbewohner Guernseys kommen bei Hugo nicht so gut weg, sie hegen die größten Bedenken, als ein Schiffer ein Boot mit einer Dampfmaschine ausrüsten läßt, um den Handel zwischen Insel und Festland zu verbessern. Ihr Aberglaube wird von ihm sehr drastisch geschildert:

„Der erste Erfolg des Dampfschiffes war also der, daß es Teufelsschiff getauft wurde. Für die braven Schiffer von damals, die ehedem katholisch, dann kalvinistisch, und zu allen Zeiten bigott gewesen waren, schien es eine Art schwimmende Hölle zu sein. Einer ihrer Geistlichen hielt eine Predigt über das Thema: Darf man Feuer und Wasser, die Gott getrennt hat, zusammen arbeiten lassen? … Verrückte Idee, grober Irrtum, Absurdität, so hatte das Verdikt der Akademie der Wissenschaften gelautet, die Napoleon zu Beginn des Jahrhunderts über das Dampfschiff befragt hatte. Die Fischer von Sankt Sampson sind gewiß zu enstchuldigen, daß wenn ihr Niveau nicht höher ist als das der Pariser Mathematiker …“

Ein wortgewaltiges Werk, romantisch, stellenweise überquellend und in anderen Passagen mit spitzen Seitenhieben des exilierten Abgeordneten der Nationalversammlung gegen Obrigkeiten und Respektspersonen wie Monarchen.

Abgesehen von Victor Hugos Zeit auf Guernsey verlief die Inselgeschichte recht ereignislos. Ein einschneidendes Datum hatte traumatisierende Wirkung auf die Bewohner – die Zeit der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht. In den örtlichen Buchhandlungen stehen regalweise Bücher über dieses Thema; persönliche Erinnerungen von Soldaten, Kindern, etc. bis hin zu Fachbüchern z.B. über die Organisation des militärischen medizinischen Dienstes, und und und.

Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes 2015 schwoll die Flut dieser Bücher nochmals an, gekrönt von einem Buch, das John Nettles verfasste. Er ist dem TV-Publikum als „Inspector Barnaby“ bekannt. Weniger bekannt ist, daß er davor als hinkender, versoffener Kriminalist in einer Serie auf Jersey ermittelte.

Etwas älter ist der Briefroman „Deine Juliett“, der schildert, wie clevere Guernseyer einen literarischen Club gründen, der einzig und allein den Zweck hat, Schwarzschlachtungen und andere Lebensmittelschiebereien vor den deutschen Besatzern zu verheimlichen. Immerhin hungerten nach der Landung der Allierten in der Normandie Einheimische und Besatzer gemeinsam, weil die Versorgung vom Festland abgeschnitten war. Das Buch war sehr erfolgreich und stand auf der New York Times-Bestsellerliste.

Am 9. Mai 1945 war alles vorüber. Zurück blieben massive Betonbunker an Guernseys Küste und ein unterirdisches Krankenhaus in St. Peter Port.

Ansonsten gilt noch heute die Gesellschaftsordnung, die bereits Hugo schilderte:

„Die Kanalinseln haben wie England eine Art Hierarchie. Es gibt dort Kasten, die ihre eigenen Ansichten haben und sich dadurch behaupten. Diese Kastenansichten sind überall diesselben, in Indien ebensogut wie in Deutschland. Adel erwirbt man durch das Schwert und verliert man durch Arbeit; man bewahrt ihn durch Müßiggang. Nichts tun heißt auf adelige Weise leben; wer nicht arbeitet, wird geehrt. Einen Beruf ausüben ist erniedrigend. In Frankreich bildeten früher nur die Glasfabrikanten eine Ausnahme. Flaschenleeren war gewissermassen der Ruhm eines Edelmanns, und Flaschenmachen entehrte ihn keineswegs. Wer in England oder auf den Kanalinseln adlig bleiben will, muß reich sein.“

Eine Feststellung, die heute noch gilt – ohne Geld kann man beim Insel-Monopoly nun wirklich nicht mitspielen.

Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Das Foto des Hauses auf Guernsey stammt von Saskia Bosch van Rosenthal und steht unter der Creative Commons-Lizenz BY 2.0
Quelle: SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste) 


Literatur

John Nettles: Jewels and Jackboots
Victor Hugo: Die Arbeiter des Meeres
Sophie Cronberg: Die Lilieninsel
Mary Ann Shaffer: Deine Juliet
Rosamunde Pilcher: Die Rosenzüchterin

PJ im Sommer 2015

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