„Literarisches Niveau hat wenig mit dem Inhalt und fast alles mit der Form zu tun“: Interview mit Hannes Riffel, Golkonda Verlag (Teil 1)

Hendrik beginnt das neue Jahr mit einem Gespräch mit Hannes Riffel vom Berliner Golkonda Verlag

Zum nunmehr bereits dritten Mal widmet sich Schoener Denken in Form eines Interviews der Beschäftigung mit Werkausgaben gehobener phantastischer Literatur und vor allem mit den Personen, die kompetent und tatkräftig hinter diesen Ausgaben stehen. Bisher sprachen wir mit Andreas Irle, dem Herausgeber der Jack Vance-Werkedition und mit Jürgen Schütz, dem Inhaber des Septime Verlages, der u.a. die Werke der Autorin James Tiptree jr. (Alice B. Sheldon) betreut.

Logo des Golkonda-VerlagsIm Fokus stehen diesmal der junge, aber bereits in seinem Bereich gut angekommene Berliner Golkonda-Verlag und sein Gründer, der Übersetzer und Lektor Hannes Riffel. Gemeinsam mit den Mitstreitern der ersten Stunde, Herausgeber und SF-Spezialist Hardy Kettlitz und der Künstlerin und Buchgestalterin Susanne Beneš, kreierte er ein beachtenswertes und teilweise preisgekröntes Sortiment hochwertiger Bucheditionen internationaler Autoren, u.a. – darauf kommen wir später – eine für uns besonders interessante Werkausgabe der phantastischen Romane und Erzählungen der russischen Gebrüder Strugatzki. Grund genug, uns einmal per eMail mit Herrn Riffel persönlich zu unterhalten.

Einen schönen Gruß nach Berlin!

HR: Hallo Herr Schulthe!

SD: Ich war durchaus überrascht, als ich, nachdem ich die mit rund 40 Titeln ja schon recht umfangreiche bisherige Backlist Ihres Verlages studiert hatte, auf Ihrer Homepage las, dass der Verlag erst 2010 gegründet worden ist. Über ein Dutzend weitere Titel sind angekündigt. Daher gleich meine erste Frage: Wie stemmt ein so junger Verlag das personell und finanziell? Ist das dem überstundengenerierenden Enthusiasmus jenseits allen Marktwirtschaftskalküls einiger weniger geschuldet, oder steckt da ein durch den Verkauf von Marsdiamanten gewonnenes Millionenguthaben dahinter? Was war das Starterfolgsrezept des Golkonda-Verlages?

HR: Der Ursprung von Golkonda liegt in meiner langjährigen Arbeit als Kollektivist des Shayol Verlages, bei dem ich viel Erfahrung gesammelt habe. Als sich abzeichnete, dass ich mich unter neuer Flagge selbstständig machen wollte, habe ich einige Buchprojekte, die ursprünglich bei Shayol angedacht waren, mitgenommen, was die Vorlaufzeit insgesamt verkürzt hat. Außerdem gehöre ich zu den Leuten, die sich vor Ideen nicht retten und auch den Hals nicht vollkriegen können, sodass ich dazu neige, eher zu viele Bücher zu machen.

Natürlich war dabei von grundlegender Bedeutung, dass der frühere ALIEN CONTACT-Chefredakteur und Shayol-Mitstreiter Hardy Kettlitz von Anfang an mit im Boot war und mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Hardy ist genauso ein Workaholic wie ich, und gemeinsam stemmen wir Arbeitsabläufe innerhalb weniger Wochen, für die anderorts Monate gebraucht werden. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit unserer Gestalterin Susanne „Ben“ Beneš ein solches Wunder, eine solche Freude, dass wir es jedes Mal kaum erwarten können, was sie als Nächstes aus dem Hut zieht.

In finanzieller Hinsicht ausschlaggebend war allerdings, dass mein Freund Karlheinz Schlögl, ein IT-Experte und Literaturkenner aus Graz, sich relativ bald bereit erklärte, bei Golkonda einzusteigen und unseren Spielraum damit deutlich zu erhöhen. Davor hatte ich alle Rechnungen selbst bezahlt, und seither sind unsere Möglichkeiten da doch ein wenig größer geworden — nicht beliebig groß, wir müssen immer noch sehr genau kalkulieren und haben auch kein Geld zu verbrennen, aber innerhalb gewisser Grenzen erlauben wir uns alle Freiheiten.

SD: Ihren Schwerpunkt setzen Sie auf internationale Phantastik, Krimis und mittlerweile auch Klassikerausgaben. Wie wählen Sie eigentlich die Titel aus, die Sie ins Programm aufnehmen? Und wie geht man dann im Weiteren vor?

HR: Unser Schwerpunkt liegt auf Übersetzungen innerhalb der phantastischen Genres, denn um deutschsprachige SF-, Fantasy- und Horror-Autoren kümmern sich bereits genügend Kleinverlage. Die konkrete Programmauswahl basiert auf einer Mischung von Vorlieben aller Beteiligten, wobei wir auch überlegen, was wie ins Gesamtprogramm passt. Dabei spielen „Gelegenheiten“ eine nicht unwesentliche Rolle — Bücher, die uns von Agenturen angeboten oder von Übersetzerkollegen ans Herz gelegt werden, die sich schlicht als machbar präsentieren.

Vor allem aber bilden wir uns ein, einen vergleichsweise hohen Qualitätsanspruch zu haben — ich denke mal, dass es kaum einen anderen Phantastik-Verlag gibt, der sich, vor allem auch gegenüber Lesern, die nicht aus dem Fandom kommen, als so konsequent niveauvoll darstellt. Dabei haben wir bestimmt keine Berührungsängste gegenüber handwerklich gut gemachter Unterhaltung, wie unsere „Captain Future“- und „Hellboy“-Serien zeigen. Aber die Highlights sind dann doch vielfach preisgekrönte Klassiker wie Delany und Strugatzki oder zeitgenössische Großschriftsteller wie Joe R. Lansdale und Tobias O. Meißner.

SD: Was ist denn bisher Ihr ganz persönlicher Lieblingstitel aus dem eigenen Programm, und was macht das Buch für Sie zu etwas Besonderem?

HR: Das ist eine schwierige Frage, da man als Verleger eigentlich alle seine Kinder liebt. Hervorheben lässt sich vielleicht „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ von Ted Chiang, ein Sammelband mit anspruchsvollen Erzählungen des vielleicht besten SF-Autors der letzten beiden Jahrzehnte. Eine solche stilistische Meisterschaft bei großer emotionaler Durchschlagskraft ist mir sonst noch nie begegnet, und die Verkaufszahlen können sich, bei einem Storyband ein kleines Wunder, auch sehen lassen. Außerdem haben wir damit beim Kurd Laßwitz Preis Großverlagen wie Heyne Platz 1 in der Kategorie „Bestes ausländisches Werk“ weggeschnappt, und wenn man bedenkt, dass solche Preise eigentlich Romanen von beim Publikum bereits beliebten Autoren vorbehalten sind, ist das doch eine beachtliche Leistung. Weshalb wir mit „Das wahre Wesen der Dinge“ im Februar gleich den nächsten Chiang-Band nachlegen.

SD: … und wieder ist meine Bestellvormerkliste um zwei Titel länger geworden.

Was die Abneigung vieler LeserInnen gegen kürzere Prosa angeht (die mir auch im Buchhandel und in meinen Literaturseminaren nicht selten begegnet ist), da hatte ich immer den Eindruck, dass gerade in der Phantastik die Kurzform durchaus gute Akzeptanz findet. Ich denke mir manchmal, dass zwar natürlich auch die epischen Weltentwürfe ihren Reiz haben, es in der Phantastik aber oft um die vielen reizvollen kleinen spekulativen Was-wäre-wenns geht, wo das dynamische Spiel mit einer besonderen Idee wichtiger wird als das Ausbreiten eines die Leseraufmerksamkeit viele Stunden haltenden narrativen Teppichs. Womöglich kommen solche Ideen in einer verknappten und oft vieles bewusst offen lassenden Form besser zur Zündung. Erzählungen wie die Tiptrees, Sturgeons oder Dicks dürften, so mein Eindruck, gar nicht länger sein, um nicht an Schärfe zu verlieren. Sehen Sie das ähnlich?

HR: Wenn ich ehrlich bin, interessiert mich an der Science Fiction sogar derzeit in erster Linie die kürzere Erzählung und die Novelle. Diese ganzen Trilogien und Serien langweilen mich zutiefst, und wenn ich einen Roman anfange, der über 500 Seiten hat, dann muss es schon ein Kaliber wie „Cyberabad“ von Ian McDonald oder „2312“ von Kim Stanley Robinson sein. Ich predige seit Jahren, dass neue Autoren, bevor sie einen Roman schreiben, erst mal lernen sollten, die kürzere Form zu meistern. Ein Zimmermann lernt ja auch erst einen Stuhl bauen, bevor er sich an einen Dachstuhl wagt. Aber das hindert Tausende von Möchtegerns nicht daran, die Verlage mit 1000seitigen Manuskripten zu belästigen, bei denen man schon am ersten Satz merkt, dass sie nichts taugen. Andererseits, wenn dadurch gepflegte Langeweile erfolgreich ist, bleibt das natürlich nicht ohne Konsequenzen.

SD: Ja, ich gestehe, die Zyklenbesessenheit speziell in der Fantasy habe ich auch nie so ganz begriffen, da muss so manche Idee im zweiten Band schon künstlich beatmet werden. A propos erster Satz – fällt Ihnen spontan ein Roman- oder Erzählungseinstieg ein, den Sie besonders genial finden?

HR: Ja, unbedingt – „Sturmwarnung“ von Joe R. Lansdale beginnt mit dem schönen einleitenden Satz: „Jener Nachmittag war heißer als zwei rammelnde Ratten in einer Wollsocke …“

SD: Herzerwärmend… und gewiss in der Lage, die edelste Aufgabe eines ersten Satzes zu erfüllen, nämlich zum zweiten Satz hinzuführen.

Gibt es auch Titel oder Werke, die Sie gerne in Ihr Programm aufgenommen hätten, ohne dass Ihnen das bisher gelungen ist? Wie kompromissbereit muss man auf der Suche nach der perfekten Backlist der verlegerischen Träume sein?

HR: Na ja, wir haben bereits mehr Lizenzen eingekauft, als gut für uns ist, also werde ich mich künftig ein wenig zurückhalten. Allerdings würde ich gerne die klassischen Elric-Romane von Michael Moorcock neu übersetzen – damit werden wir uns wohl noch ein wenig gedulden müssen. Und auch von Samuel R. Delany gibt es den einen oder anderen sehr umfangreichen Roman, für den wir noch eine Nummer zu klein sind, aber das kann sich ändern.

SD: Oh ja, über eine schöne Edition von Delanys Werken würde ich mich auch freuen – Moorcock hat dagegen bei mir persönlich bisher nur bedingt gezündet, da habe ich andere Privatlieblinge, Fritz Leiber oder Cordwainer Smith zum Beispiel. Goródischers „Kalpa Imperial“ wäre auch eine mich sehr entzückende Wahl. Nun, das reizvolle Material wird jedenfalls so bald nicht knapp werden.

Wie positioniert sich denn überhaupt die Phantastik (nicht nur die Science Fiction) innerhalb der deutschen Buchlandschaft, vielleicht auch im Vergleich zu anderen Ländern? In den Augen vieler Leser, aber auch Buchmachender war Phantastisches ja lange Zeit etwas für die verschämt-schummrig beleuchtete Genreecke. Ich habe den ganz subjektiven Eindruck, dass diese lange Zeit wahrzunehmende diesbezügliche Verkniffenheit („Hat der nur diese komischen Sachen geschrieben oder auch richtige Bücher?“) doch nachgelassen zu haben scheint…

HR: Auf diese Diskussionsebene möchte ich mich, ehrlich gesagt, nicht begeben. Ja, die Phantastik wird im deutschsprachigen Raum — im Unterschied beispielsweise vor allem zu Frankreich — immer noch gerne in die Schundecke gestellt, aber Leute, die solchen Unfug vertreten, muss man schließlich nicht ernst nehmen. SF, Fantasy und Horror sind in erster Linie Marketingkategorien, und jetzt wieder von vorne anzufangen und zu argumentieren, dass Genre, Gattungen und Medien keine Qualitätskriterien sind, finde ich witzlos. Es gibt einfach gute und schlechte Texte (oder Filme, Comics etc.), und auch wenn sich über Geschmack streiten lässt, hat literarisches Niveau wenig mit dem Inhalt und fast alles mit der Form zu tun. Was allerdings wiederum ein Problem der meisten habituellen Genreleser ist — wenn da die Form über das journalistische Mindestniveau eines Asimov oder Reynolds hinausgeht, sind sie schon überfordert.

SD: Dass es unabhängig von alten Genrediskussionen eigentlich immer nur um gute und schlechte Texte geht, da bin ich absolut bei Ihnen (Geschmacksvarianten und verschiedene Lesebedürfnisse inklusive). Aber die Form wichtiger als der Inhalt? Da kann ich aber nun nicht recht zustimmen, denn mir ist ggf. ein guter Inhalt mit Formschwächen lieber als eine perfekte Form ohne adäquat reizvollen Inhalt (Letzteres wird vom Erfolgsformatdenken der Medienvermarkter ja oft genug aus [dem] Nichts gestanzt). Ich finde, dass Beides zusammenwirken muss, d.h. die Form muss den Inhalt unterstützen und vermitteln helfen – gerade in der Science Fiction, wo eine oft abstrakte Spekulation (sagen wir: eine besondere Kulturprämisse wie „Wie würde unsere Zivilisation sich entwickeln, wenn man plötzlich die relative Unsterblichkeit entdeckte?“) durch die erzählerische Ausarbeitung erst veranschaulicht, ausgelotet und vertieft wird. Oder habe ich Sie da falsch verstanden?

HR: Vielleicht habe ich das etwas zu zugespitzt formuliert. Aber Arno Schmidt hat einmal sinngemäß gesagt, dass es eigentlich gleichgültig sei, ob es in einem Buch um die Jungfrau Maria gehe oder um die Weltrevolution, sofern die Qualität des Textes eine entsprechende sei. Um es anders auszudrücken: Es ist mir völlig egal, ob Ted Chiang über Roboter, Mutter-Tochter-Beziehungen, Religiösität oder den Erstkontakt zu Außerirdischen schreibt, ich werde jede seiner Stories begeistert lesen (und hoffentlich drucken dürfen). Mir ist es auch nicht so wichtig, ob eine Handlung schlüssig oder ein wissenschaftlicher Hintergrund 100%ig glaubwürdig ist — wenn die Figuren die Story tragen, mache ich — als Leser — so ziemlich alles mit. Als Verleger dagegen achte ich darauf, das alles stimmt: Hintergrund, Handlung, Figuren, Textstruktur. Bei der Auswahl, aus der wir schöpfen können, müssen wir keine Kompromisse eingehen.

 

Der zweite Teil des Interviews erscheint schon morgen.

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: Hendrik Schulthe/SchönerDenken

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