„Isn’t Anyone Alive?“: die Hoffnung (des Zuschauers) stirbt zuletzt

Isn't Anyone Alive (Nippon Connection)

Gakuryo (Sogo) Ishii gilt als einer der unruhigsten und innovativsten Regisseure Japans der letzten Jahrzehnte, und nicht umsonst ist ihm auf Nippon Connection in diesem Jahr eine eigene Werkretrospektive gewidmet worden. Solch ein Ruf schafft hohe Erwartungen, sogar bei Zuschauern wie uns, die dieses Frühwerk (noch) gar nicht kennen.

Sein neuester Film erzählt die Geschichte einiger Studentinnen und Studenten, die ein mehr oder weniger normales Campusleben führen: einige treffen sich, um ein Referat über Urban Legends zu schreiben, einige üben einen Tanz für die Hochzeit eines Freundes ein, ein Junge und zwei Mädchen sitzen in der Cafeteria und beraten sich wegen einer ungewollten Schwangerschaft, und so fort. Merkwürdige Gerüchte tauchen auf – in der U-Bahn hat es einen Unfall gegeben, weil ein Fahrer zusammengebrochen ist, auch wird darüber geredet, dass es irgendwo im Keller der Uniklinik ein geheimes Forschungslabor geben soll, wo grausige Experimente stattfinden. Auch eine Urban Legend? Keiner ist sich so ganz sicher.

Unvermittelt beginnen alle Figuren zu sterben und fallen, einer nach dem anderen tot um. Warum? Auch das weiss keiner, aber der Tod scheint unausweichlich …

Um es kurz zu machen: diese 113min Lebenszeit hätten auch wir gerne wieder. Was angekündigt war als Ensemblefilm, der absurden Humor mit philosophischen Grundfragen kombiniert, erwies sich als nur momentelang dialogisch interessante Aneinanderreihung (gewollt?) schlecht gespielter Sterbeszenen, hinter denen nur mit sehr viel gutem Willen überhaupt ein geschlossenes Konzept denkbar war. Einige wenige der im Kino Anwesenden hatten hörbar Spaß, aber wir waren es nicht. Die Handschrift eines Genies haben wir darin nicht erkannt.

Warum wir der Meinung sind, der Film hätte nicht länger werden dürfen als unser Podcast? Bitte sehr:

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Es ist kaum möglich, die Bedeutung Sogo ISHIIs (geboren 1957) für das japanische Kino zu überschätzen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass er als einer der ersten mit dem für die japanische Filmindustrie typischen Laufbahnmuster gebrochen hat. Zuvor war es für angehende Filmemacher üblich gewesen, sich bei einem Filmstudio Schritt für Schritt die Karriereleiter hinaufzuarbeiten. Als ISHII 1978 zusammen mit Yukihiro SAWADA seinen ersten Spielfilm für ein Studio drehen durfte (ein Remake seines eigenen Kurzfilms PANIC HIGH SCHOOL), war er noch Student und aufgrund der Ausdrucksstärke seiner preisgekrönten Kurzfilme zu dem Projekt eingeladen worden. ISHIIs Solo-Spielfilmdebut CRAZY THUNDER ROAD (1980) sollte ursprünglich sein Abschlussfilm an der Nihon University College of Art sein, wurde aber von Toei angenommen und in die Kinos gebracht. Damit wurden neue Regeln aufgestellt: Es war der Startschuss für eine Vielzahl junger, hoffnungsvoller Filmemacher mit 8mm-Kameras, die nun versuchten, auf ihre eigene Weise die höheren Ligen zu erobern. Mit CRAZY THUNDER ROAD wurde gleichsam eine neue Ära der japanischen Kinogeschichte eingeläutet. Häufig wird ISHIIs Karriere in zwei Perioden eingeteilt: die „Punk-Jahre“ und die „psychedelischen Jahre“. Man könnte aus der heutigen Perspektive noch eine dritte Periode voranfügen, die sich in gewisser Weise als die „Gesellen-Jahre“ bezeichnen ließe.

Angefangen mit den „siamesischen Zwillingen“ GOJOE und ELECTRIC DRAGON 80.000 V hat ISHII in den vergangenen zehn Jahren verschiedene Genres, Stimmungen und Stadien der Experimentierfreude durchexerziert. Sein kürzlich angenommener Projekt- bzw. Künstlername Gakuryu („Bergdrache“) mag aber darauf hindeuten, dass nun abermals eine neue Schaffensperiode für den wichtigsten japanischen Filmemacher der letzten knapp 40 Jahre begonnen hat. (Tom Mes)

Filmografie (Kurz- und Langfilme)
1976 Panic High School! (Koko Dai Panikku); 1977 Solitude of One Divided by 880,000 (Hachijyuhachiman-bun no ichi no Kodoku); 1978 Charge! Hooligans of Hakata (Totsugeki! Hakata Gurentai); 1980 Crazy Thunder Road; 1981 Shuffle; 1982 Burst City (Bakuretsu toshi); 1983 The Code Name is Asia Strikes Back (Ajia no gyakushu); 1984 The Crazy Family (Gyakufunsha kazoku); 1985 1/2 Mensch; 1989 The Master of Shiatsu (Shiatsu Oja) / Dumb Numb Live Friction 1989; 1993 Tokyo Blood; 1994 Angel Dust; 1995 August in the Water (Mizu no naka no Hachigatsu); 1996 Labyrinth of Dreams (Yume no Ginga); 2000 Gojoe (Gojoe: Gojo Reisenki); 2001 Electric Dragon 80.000V; 2003 Dead End Run (NC ’04); 2005 Mirrored Mind (Kyoshin); 2012 Isn’t Anyone Alive? (Ikiteru Mono wa Inainoka)

Quelle: Nippon Connection

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz.
Quelle: SchönerDenken

Isn’t Anyone Live (Ikiteru mono wa inainoka)
Japan 2011, 113 Min., Regie: Gakuryu (Sogo) ISHII

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