Seit TREE OF LIFE wird wieder über Terrence Malick geredet. Götz bringt uns den Ausnahme-Regisseur näher. (Zweiter und letzter Teil)
Erst 1998 kehrte er mit dem Weltkriegsfilm „Der schmale Grat“ („The Thin Red Line“) triumphal zurück. Mit seinem zweiten Film hatte er sich wie Coppola („Apocalypse Now“) und Michael Cimino („Heaven’s Gate“) dem radikal persönlichen, in manischer Weise realisierten Mega-Kunstwerk verschrieben, und er ist heute der letzte von allen, der jenen Anfängen warum auch immer treu geblieben ist und treu bleiben konnte. „Der schmale Grat“ erzählt von den Kämpfen zwischen amerikanischen und japanischen Soldaten auf einer Pazifikinsel im Zweiten Weltkrieg. Der Krieg ist die Naturkatastrophe im Kopf des Menschen, schrieb Hemingway, und Malicks Film illustriert diesen Gedanken. Die Kämpfenden sind bei Malick eingebettet in den unendlichen Seinszyklus.
Das menschliche Drama ist nur eines von vielen anderen, die sich in der Natur abspielen. Gegen Ende des Films, als es zu einem Gefecht in einem Fluss kommt, durch den die Soldaten waten, werden mehrfach Bilder der dort im Urwald lebenden Tiere zwischen die Kampfszenen geschnitten – die Tiere fliehen nicht, sie blicken nur aufgeschreckt, verwundert, irritiert, wenden sich dann aber wieder ihren Geschäften zu. Der Mensch ist ein Teil des Ganzen und in der Welt ist alles gleich gültig. Die Natur weiß nichts von der herausragenden Bedeutung, die der Mensch seinem Tun beimisst, diese Bedeutung ist eine Illusion, alles Historische hat nach Malicks Auffassung nicht mehr Belang, als alles andere, was in der Natur geschieht. Wie auch in seinem nächsten Film „The New World“ transzendiert Malick in „Der schmale Grat“ die Realgeschichte.
Einen Helden kennt dieser Film nicht, wir werden in einem Reigen von einem zum anderen Soldaten geführt. Zweien widmet der Film aber dennoch besondere Aufmerksamkeit, zwei jungen Soldaten, die ganz und gar nicht an die Front zu gehören scheinen und sich dem Grauen auch zu entziehen suchen. Private Witt (James Caviezel) entfernt sich immer wieder unerlaubt von der Truppe und flüchtet sich zu den Eingeborenen der Insel, die scheinbar noch in einem paradiesischen Zustand leben – und er erinnert damit an den Helden in „Typee“, einem frühen Roman Herman Melvilles, der von einem Walfänger desertiert. Und der andere, Private Bell (Ben Chaplin), driftet immer wieder in Tagträume ab, in denen er mit seiner Frau zusammen ist, sehnt sich nach ihr, erinnert sich an gemeinsame Stunden von großer Intimität. Beide Soldaten müssen erleben, dass sie sich an Illusionen klammern: Bells Frau schreibt ihm, das sie die Scheidung will, Witt findet die Bewohner seines Eingeborenendorfes bei seiner späteren Rückkehr krank und verzweifelt vor, Opfer des Krieges. „Der schmale Grat“ zeigt die Angst der Soldaten vor und während der Kämpfe vielleicht so eindringlich wie kein anderer Kriegsfilm. Er zeigt, dass die Angst und nicht die Tapferkeit, der Mut, nicht der Hass oder die Aggression der Antrieb des Kämpfens ist. Getötet wird aus der puren Angst davor, selbst getötet zu werden. Und allein der Zufall entscheidet darüber, wer fällt oder verwundet wird und wer unversehrt aus dem Schlachten hervorgeht.
Die Kamera fängt Wolkenstimmungen ein, Bäume und das vom Wind bewegte hohe Gras, durch das die Soldaten sich anschleichen. Malick stellt seinen Pantheismus in jedem seiner Filme zur Schau, dem einen mag das zu penetrant sein, der andere wird süchtig nach diesen schönen Bildern, die niemals glatt und dekorativ sind, sondern fern jeder Werbeästhetik immer hinter den Schleier des Seienden zum Sein vordringen wollen und den Betrachter in einen meditativen Zustand versetzen. Malick sucht Gott nicht, er zeigt ihn, denn für ihn ist er gegenwärtig in der Pracht der Abendwolken, im Zirpen der Grillen, im Rieseln des Wassers, im Wehen des Windes, in den schwankenden, raschelnden Grashalmen. Und vor allem im Gesicht des Menschen, des denkenden, schauenden Menschen. Malick lässt dieses Denken sichtbar werden und oft auch hörbar. Denn eines seiner Markenzeichen ist es, die Figuren ihre Gedanken aus dem Off sprechen zu lassen. Lange verharrt die Kamera auf Gesichtern und in diesen Gesichtern erzählt der Film seine Geschichte, er ereignet sich vor allem auf den Gesichtern der bei Malick immer unglaublich präsenten Darsteller. In der Schauspielerführung ist sein Kino dem europäischen Autorenfilm am nächsten. Ob Laien oder Profis, alle agieren in einer höchst natürlichen, ungekünstelten Weise. Neben den langen kontemplativen Sequenzen sind aber auch die Actionszenen perfekt, doch nie stereotyp inszeniert und auf eine merkwürdige Weise oft nah an der Hollywood-Ästhetik und doch meilenweit von ihr entfernt.
„The New World“, der 2005 in die Kinos kam, ist zweifellos eines der elegischsten und schönsten Werke der Filmgeschichte. Der US-amerikanische Filmkritiker David Sterritt hat Malick einmal sehr treffend als filmischen Alchemisten bezeichnet, der Verbindungen zwischen der physischen und der metaphysischen Welt herstellen wolle. „The New World“ erzählt von der Ankunft englischer Siedler an der Ostküste Amerikas zu Anfang des 17. Jahrhunderts und von ihrer Begegnung mit den Indianern. Im Zentrum steht die Legende von der Liebesgeschichte zwischen der indianischen Häuptlingstochter Pocahontas und dem englischen Offizier John Smith. Pocahontas wird zu einer Mittlerin zwischen den Ureinwohnern und den Ankömmlingen. Sie verkörpert die Reinheit des Lebens, in völliger Hamonie mit der Natur. Die historische Wahrhaftigkeit des Films ist überwältigend: man denkt immerzu: ja, so war es damals, so waren die Indianer, so waren die Kolonisten. Der Film entwickelt einen sanften Sog, so dass man sich wie ein Teilnehmer der Geschehnisse fühlt. Und dennoch, trotz der obsessiven historischen Genauigkeit der Kulissen, der Kostüme und jedes Details, trotz der Natürlichkeit, in der die Darsteller agieren, trotz der authentischen Schauplätze, an denen fast ohne künstliches Licht und mit einer vergleichsweise altmodischen Aufnahmetechnik gefilmt wurde, ist es kein Historienfilm, sondern ein philosophisches und poetisches Drama über die tragische Unvereinbarkeit zweier Zivilisationen und den Untergang einer Welt, nämlich der vorindustriellen Erde.
Der Film zeigt, dass die Siedler die Chance haben, in der neuen Welt eine Utopie zu realisieren, doch die Mehrheit sieht diese Chance nicht, denn sie haben sich selbst aus der Alten Welt mitgebracht und können ihre Prägungen nicht abschütteln. Also werden sie dieses Paradies nur kurz würdigen und dann mit seiner Zerstörung beginnen. Wie schon Private Witt auf der Südseeinsel in „Der schmale Grat“ gelingt es auch dem Kolonisten John Smith nur vorübergehend das innerlich ersehnte „andere Leben“ zu leben. Der Hass der Eroberer auf die Indianer hat denn auch seine Wurzel darin, dass das vermeintliche Utopia schon besetzt war und das seine Bewohner, die Indainer, genau so lebten, wie man es sich in Europa in den Phantasien vom Goldenen Zeitalter immer ausgemalt hatte. Obwohl sich Pocahontas, nachdem sie von ihrem Vater verbannt wurde, im Lager der Weißen anpasst, Lesen und Schreiben lernt, getauft wird und den Plantagenbesitzer John Rolfe heiratet, Mutter eines Jungen wird, ihrem Mann dann nach England folgt, vom Königspaar empfangen wird und alles voller Offenheit und kindlicher Unschuld, ohne jegliches Misstrauen, immer freundlich und staunend mit sich geschehen lässt, erkrankt sie in der Alten Welt und stirbt.
Malick steuert den Film schlafwandlerisch ohne jeden falschen Ton an den stets gegenwärtigen Untiefen des Kitsches und des Prätentiösen vorbei, auch dank seiner faszinierend agierenden Hauptdarsteller, der damals erst 14-jährigen Laiendarstellerin Q’orianka Kilcher und des seine Rolle mit vielen feinen Nuancen zeichnenden Colin Farrell. Es überrascht nicht, dass Malicks anti-intellektueller, unzeitgemäßer Blick auf die Dinge, sein Bierernst, seine gänzliche Unfähigkeit zu Ironie oder gar Zynismus (wobei sein Erstling „Badlands“ von beidem noch eine gehörige Portion hat), bei vielen Kritikern nicht gut ankommt. Es ist schwierig, sich mit ihm auseinander zu setzen und die Abwehrreaktion fällt da noch am leichtesten. Malicks Kino ist das große Kino eines Romantikers, das seine eigenen Maßstäbe setzt und eine in manchem auch reaktionäre Philosophie zum Ausdruck bringt, die die Natur vergöttert und in irritierender Weise zugleich voller Misanthropie und Humanität ist, eine Weltsicht, die man mit guten Gründen angreifen kann, was ihr aber ebenso wenig schadet, wie Kritik zu allen Zeiten den großen geistigen Entwürfen geschadet hat, standen sie auch noch so provozierend quer zum Zeitgeist und dem jeweils politisch Korrekten.
Am Mittwoch folgt der Podcast der Üblichen Verdächtigen zu TREE OF LIFE.