„The Tree of Life“: Der vorenthaltene Film

Die (nicht ganz so) Üblichen Verdächtigen diskutieren nach „The Tree of Life“ über die 40 Minuten, die der Film vermutlich zu lang ist, über eine berührende Geschichte einer Kindheit und einer Familie, den Inbegriff einer Mutter, über eine wackelige Familienkamera, einen sinnlosen National-Geographic-Schöpfungsfilmanfall und ein störend kitschiges Ende:

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Michelangelo hat einige seiner Skulpturen nicht zuende geführt. In Florenz sind sie zu besichtigen – Gestalten, die überwiegend noch im Stein gefangen sind. Das, was man sehen kann, ist großartig, intensiv, mehr als beeindruckend und unglaublich schön. In diesem Sinne ist Malick der Michelangelo der Filmkunst: Im Fels eines 138 Minuten langen Films verbirgt sich ein etwa anderthalbstündiges Meisterwerk – fast verschüttet von einem metaphysischen Naturfilmexkurs am Anfang und einer sinn- und geschmacklosen Kitsch-Eruption am Ende. Irgendwann werde ich mir diesen Film digital vornehmen und nur ganz für mich neu schneiden, bis der Blick frei ist auf dieses unglaubliche Kinokunstwerk, das uns Terrence Malick vorenthalten hat.

Mehr über Malicks Filme erzählt Götz in seinem Beitrag „Gratwanderungen – das waghalsige Kino des Terrence Malick“ (hier Teil 2).

Andere Meinungen

Michael Sennhauser ist stinksauer:


„Im Kern erzählt er die Geschichte einer MacDonalds-Werbung-Zielgruppenfamilie, bestehend aus Papa Brad Pitt, Engelsmama und drei Söhnen. Die Film eröffnet – nach etlichen Canyonaufnahmen, Sonnenaufgängen, Eclipsen und Meereswellen – mit der Meldung des Todes des ältesten Sohnes, zu dem Zeitpunkt offenbar 19 Jahre alt. Es folgt eine protobiomakro-evolutionäre Erdsequenz, in der sich scheue Dinosaurier tummeln, bis ein Komet ihnen das Ende ihrer Zeit bringt. Alles dauernd unterlegt von existentiellen Fragen an Gott auf der Tonspur: Warum? Wann habe ich Dich erkannt? Wo bist Du? […] Die erste Stunde dürfte das Esoterik-Bedürfnis sämtlicher Hockey-Moms rund um Sarah Palin, der Kreationisten und der kulturell nicht völlig unterbelichteten Tea-Party-Mitglieder abdecken und einen grossen Teil von ihnen zu Tränen rühren.“

Thomas Hunziker (filmsprung) ist begeistert:

„Grandios sind die Kameraarbeit und der Schnitt, die zu einer hypnotisierenden Wirkung führen. Genauso eindringlich wie die visuelle Gestaltung ist aber auch die Leistung der Schauspieler, besonders von Brad Pitt, der wie eine Urgewalt durch den Film wirbelt, und von Jessica Chastain, die als zartes Gegenstück durch die Szenen schwebt. Zuletzt: Der Inhalt des Films vermag entweder zu berühren oder aber einfach nur zu langweilen. Das hängt primär von der persönlichen Einstellung ab.“

Daniel Bund (NEGAIV) holt sehr weit aus und erklärt zwischendurch:

„Zur Montage passt Emmanuel Lubezkis belebte Kamera, die geisterhafte Bewegungen ausführt, ein umherirrender, ätherischer Zeuge des Daseins, von Schwankungen erfasst und getrieben.“

Als Bonus: Terrence Malick erklärt den Filmvorführern, wie sie den Film zu zeigen haben. Und eine Featurette über das Casting (via Ciprian von NEGATIV):

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