2012: Ein gutes Terry Pratchett-Jahr

Hendrik sichtet die Neuzugänge seines Terry Pratchett-Würdigungsregals

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Also dafür, dass er gar nicht mehr schreibt, konnte ich in den letzten Monaten meinem persönlichen Pratchett-Würdigungsregal doch verblüffend viele Zentimeter hinzufügen – und das nicht, weil ich so hinterher hinken würde. Gerne nutze ich die sonntagmittägliche Gelegenheit, das alles mal nebeneinander zu legen und durchzugehen: Fansammlungen haben ja auch zuweilen das Problem, wahllos ziemlichen Mumpitz zu enthalten. Schauen wir doch mal, ob sich das alles so gelohnt hat, wie es die Werbung jeweils behauptet …

1 – Scheibenweltscheiben

Einige der Terry Pratchett Veröffentlichungen 2012Da wäre als erstes die völlig fehldeklarierte „Terry Pratchett-Gesamtbox“, die auf fünf DVDs vier Produktionen enthält, die einzeln gekauft viel teurer wären. Obwohl: ich wäre gern bereit gewesen, mehr Geld zu bezahlen, um auf die unsäglich miserablen Zeichentrickversionen von „Soul Music“ (dt. „Rollende Steine“)  und „Wyrd Sisters“ (dt. „Macbest“) verzichten zu dürfen. Zwei weitere DVDs sind dem TV-Mehrteiler „Going Postal“ (dt. „Ab die Post“) gewidmet, der die passsable Realverfilmung des dreißigsten Scheibenweltromans darstellt, der nicht zu meinen speziellen Favoriten der Reihe gehört, aber Pratchetts Durchschnitt ist immer noch besser als fast alles andere.

Das einzig wirklich Interessante ist die Bonus DVD, welche die knapp zweistündige Doku „Terry Pratchett: Mein Leben mit Alzheimer“ enthält, die es separat nicht mit deutscher Tonspur zu kaufen gibt.
Für 15 Euro ist das in der Summe o.k.: ich kann ja die Anschaffung der Bonus-Disc durch das Verkloppen meiner jetzt doppelten „Going Postal“-DVDs nachträglich verbilligen und die beiden Zeichentrickfilmscheibchen als Untersetzer verwenden.

[‚Völlig fehldeklariert‘ ist die „Gesamtbox“ übrigens, weil es diverse weitere Pratchett-Verfilmungen gibt, die man teils kaufen („Hogfather“, „The Colour of Magic“), teils herunterladen („Choosing to Die“), teils z.Zt. weder für Geld noch gute Worte („Truckers“, „Johnny and the Dead“) überhaupt irgendwo bekommen kann.]

2 – Scheibenweltgedrucktes

Daneben steht die neueste Ergänzung meiner Pratchetthörbuchreihe, das von Tony Robinson wieder sehr schön britisch eingelesene „Snuff“ (dt. „Steife Prise“), der neueste Roman um Commander Sam Vimes, den man auf den Covern immer wie Clint Eastwood aussehen lässt, was gar nicht mal die schlechteste Assoziation zu dieser wunderbaren knorrigen Polizistenfigur darstellt. Zum Roman selbst habe ich mich an anderer Stelle schon ausführlicher ausgelassen.

Und quasi als – man merke sich das Wort mal kurz – Abfallprodukt zu „Snuff“ folgt daraufhin „Miss Felicity Beedle’s <The World of Poo>“, schon das zweite Kinderbuch, das erst in den Discworld-Romanen gelegentlich erwähnt und dann von Pratchett tatsächlich geschrieben wurde. Dieses gefällige und hübsch illustrierte Buch bringt dem wissbegierigen Kind die Faszination der tierischen Abfallprodukte nahe, und infolgedessen ist es auch Sir Harry King (ehemals Piss Harry) gewidmet, der als Koryphäe auf diesem Gebiet gelten darf. Ein nettes Abfallprodukt, wirklich.

3 – Fan-Fiction

Mit „Turtle Recall“ habe ich mir den neuesten, logischerweise mit jedem Roman erweiterungsbedürftigen „Discworld Companion“ zugelegt, der zwar natürlich den Hauptwerken nur bedingt etwas hinzuzufügen vermag, aber der langjährige Fan-Fiction-Autor Stephen Briggs bemüht sich redlich. U.a. enthält dieser Band ein weiteres Pratchett-Interview, einen Beitrag zum Thema „Übersetzungen“ (und dass das ein wirklich problematisches Thema bei Pratchett ist, kann man schon den unsäglichen deutschen Titelgebungen entnehmen) und Vorschlagsregeln für das schöne „Cripple Mr. Onion“-Spiel. Das ist nix, was man von vorn nach hinten durchliest, aber zum Reinblättern in den fünf Minuten vor dem Lichtausmachen ist es doch mal recht nett.

Gestalterisch kann „Turtle Recall“ allerdings nicht gegen „The Compleat Ankh-Morpork City Guide“ anstinken, einen um Schmuckschuber und Faltkarte angereicherten Stadtführer, der nicht nur die wichtigsten Anlaufpunkte der Stadt kurzweilig vorstellt, sondern auch jede Menge liebevoll aufbereitete Annoncen. Da werden aus den fünf Minuten vor dem Lichtausmachen dann doch ganz schnell wieder zwanzig.

In Craig Cabells Pratchett-Biographie „The Spirit of Fantasy“ habe ich noch keinen Blick werfen können, hoffe aber, dass es sich um etwas mehr als reine Belobhudelung handeln wird. Mann und Werk wären eine wirklich intensive Auseinandersetzung ganz sicher wert.

4 – Jenseits der Scheibenwelt

Dann gibt es da noch das sehr reizvolle „A Blink of the Screen – Collected Shorter Fiction“, das einige bislang nur auf Anthologien verteilte kürzere Texte Pratchetts (Scheibenwelt und andere) und auch diverses noch ganz Ungekanntes versammelt, angefangen von „The Hades Business“ von 1963, eine von Pratchett schon in der High School veröffentlichte Story, bis u.a. hin zu „The High Meggas“, jener Science Fiction-Kurzgeschichte, aus der über zwanzig Jahre später in Zusammenarbeit mit SF-Autor Stephen Baxter …

… „The Long Earth“ wurde: der erste Band einer neuen phantastischen Reihe, in der es um Paralleluniversen geht, und in den ich noch keinen weiteren Blick geworfen habe, weil ich nach der Lektüre von „The High Meggas“ beschlossen habe: hierfür möchte ich mir Zeit nehmen (so etwa das gleiche Gefühl wie nach dem Erhalt eines neuen Iain Banks). Das Ganze klingt EXTREM spannend.

Und, ganz zuletzt ausgepackt und gerade in Lesearbeit, folgt „Dodger“, ein Jugendabenteuerroman, der nicht nur im London der Ära von Charles Dickens angesiedelt ist, sondern in dem dieser auch gleich selbst vorkommt. Liest sich weg wie seinerzeit auch schon die Jugendbuchausgabe von „Oliver Twist“ und beweist ein weiteres Mal, dass Pratchett neben dem Attribut, ein großer Humorist zu sein, vor allem auch das Folgende zu Recht zugesprochen wird: Pratchett ist einer der größten lebenden phantastischen Erzähler, die wir haben.

Wie gesagt: dafür, dass Terry Pratchett nicht mehr selbst schreibt (sondern, aufgrund seiner Erkrankung, ’nur noch‘ einem Assistenten diktiert, der ihm auch über die Gedächtnislücken hinweg hilft), war es aus meiner Sicht ein sehr gutes Terry Pratchett-Jahr. Ich wünsche Herrn Pratchett, dass auch 2013 für ihn ein sehr gutes Jahr werden möge – und das nicht nur aus dem Eigennutz des Verehrers heraus. Zwei Titel sind bereits angekündigt: Band 4 der „The Science of Discworld“-Reihe sowie die Fortsetzung von „The Long Earth“.

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz.
Quelle: Hendrik Schulthe/SchönerDenken

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