Hendrik schaut sich „Die Shadoks und die Gibis reisen zur Erde“ an
Von der Erde aus gesehen weiter rechts im Himmel liegt der Planet der Gibis. Der ist flach wie ein Brett und hat den Nachteil, sich sofort zur Seite zu neigen, wenn zu viele Gibis sich am gleichen Ende des Planeten aufhalten. Weiter links im Himmel liegt der Planet der Shadoks. Der hat gleich gar keine feste Form und verändert sich dauernd, was vor allem an den Shadoks liegt, die auf der unteren Seite des Planeten und mit den Beinen nach oben leben und so den Planeten von unten stützen – es sei denn, sie schlafen z.B. ein oder gehen weg, dann kann es passieren, das an der betreffenden Stelle der Planet nach unten rutscht und sich verformt, und das ist wiederum sehr unangenehm für die Shadoks, die mit den Beinen nach unten auf der oberen Seite des Planeten leben. Deswegen wollen die Gibis und Shadoks gerne auf die Erde umziehen, denn es ist sehr lästig, auf Planeten zu leben, die nicht richtig funktionieren.
Klar soweit?
Der berühmte Douglas Adams hat mit seinem „Per Anhalter durch die Galaxis“ („The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“), der nach langen Jahren in 2005 doch noch zum Spielfilm gereiften ursprünglichen TV-Serie von 1981, die ja wiederum nur eine Verarbeitung des romanseriengewordenen Radiohörspielscripts darstellte, das Chaos im Universum so richtig populär gemacht. Erfunden hat er es für den Bildschirm aber nicht, denn das hat 1968 Jacques Rouxel schon für ihn besorgt, der Erfinder der „Shadoks“. Und diese Erfindung ist nach jahrelangen Bemühungen diverser Fangemeinden nun auch für deutsche Medienwürdiger wiederbelebt worden.
Die von 1968 bis 1973 in drei Staffeln in Frankreich produzierte Trickfilmreihe „Les Shadoks“ (1999 kam eine Fortsetzungsstaffel hinzu) mag vielleicht manchem Mittvierziger aus frühen TV-Kinderstunden noch geläufig sein, ist allerdings trotz der FSK-Freigabe (ab 6) wohl nicht gerade eine reine Kinderserie. Denn vor allem geht es darum, dass die bösen vogelartigen Shadoks einen Plan nach dem anderen schmieden, um den liebenswerten, kleine Hüte tragenden, bettwurstähnlichen Gibis ihre Erdflugrakete zu klauen. Da Shadoks aber nicht allzu helle sind, geht so ziemlich jeder Plan, den sie schmieden, auf drollige Weise schief, worüber sich mit den Gibis auch der Zuschauer amüsiert.
Als Kind hätte ich die völlig versponnenen und daher auch über mehrere Folgen verteilten Aktionen zwar schon kapiert, aber wohl nicht das oft Schwarzhumorische daran. Denn das Lachen über eine Parodie – wenn es nicht das dem Lachenden selbst oft eher unangenehme Überspielen völliger Verständnislosigkeit ist – bedingt eine Grundkenntnis des zu Parodierenden, und „Die Shadoks“ macht sich in kindlicher Weise über Phänomene der Erwachsenenwelt lustig, von denen Kinder – zum Glück, darf man sagen – oft noch unberührt sind.
Die subversive politische Deutungsebene, die der Reihe in einigen Beiträgen gerne zugesprochen wird, zündet dabei heute sicherlich nicht mehr so wie im Frankreich der Endsechziger. Ich sehe allerdings auch keinen Sinn darin, darüber zu spekulieren, ob der Begriff „gulp“ (das Gefängnis auf dem Shadokplaneten) nun absichtlich oder zufällig klingt wie eine Parodie auf „Gulag“. Allerdings wird einem irdischen Gegenwartsbetrachter der Reihe – besonders wenn er die gegenwärtige Innenpolitik unseres Landes verfolgt – die ein und andere Lösungsstrategie der Shadoks recht bekannt vorkommen. Das geht von der gängigen Regel „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?“ über das schon anspruchsvollere Dogma „Wenn es für ein Problem keine Lösung gibt, dann gibt es auch kein Problem!“ bis hin zu der Neigung der Shadokherrscher, bewährte Lösungen unter großen Mühen auch auf Probleme anzuwenden (bzw. von Shadokuntertanen anwenden zu lassen), für die sie offensichtlich nicht im Geringsten geeignet sind.
Die Gibis dagegen sind sehr nette und sympathische Wesen; ihr einziger Fehler ist vielleicht die doch recht selbstgefällige Schadenfreude, mit der sie im Satellitenfernsehen die Unternehmungen der Shadoks beobachten. Das mag durchaus passen zu einem der Deutungsversuche der Serie, der den braven und behuteten/behüteten Wesen etwas Bourgeoises zuschreibt. Zugleich sind die Gibis auch die perfekten Kommunisten, denn wenn einer der Gibis über etwas Großes nachdenken will, tut er es einfach in seinen Hut, und sofort können alle Gibis gemeinsam darüber nachdenken. Deswegen klappt ja bei den Gibis auch immer alles.
Die abstruse Logik dieser Trickfilmerzählung wird natürlich auch entsprechend skurril illustriert. Jede einzelne Zeichnung aus den Kurzfilmen wirkt dabei, für sich genommen, wie die ungelenke Krakelei eines Kleinkindes. Dass die Produktion in Farbe hergestellt wurde, obwohl das 1968 noch gar kein Empfangsstandard war, wirkt sich bei der Wiederbetrachtung heute natürlich positiv aus. Doch richtig künstlerisch wird der Trickfilm erst durch die Animation und den Erzähler – in der deutschen Synchronisation ist das die wohlbekannte Stimme von Sprecherlegende Manfred Steffen. Die dem noch unterlegte musikalische Klangwelt der Shadoks und Gibis klingt wie ein Nachvollzug der Melodien von Yann Tiersen mit Materialien aus der Abfallverwertung.
Wie der Titel der Staffel schon andeutet, gelangen in den späteren Staffeln der Reihe die Shadoks und die Gibis tatsächlich zur Erde, wo es zwar noch keine Menschen gibt, dafür aber ein bergeverschlingendes (wenngleich nur punktgroßes) Ungeheuer namens Gégène … aber das ist eine andere Geschichte.
In der Welt von Adams‘ „Anhalter“ wird u.a. erzählt, daß die Vorfahren der heutigen Menschen die Nachfahren der Schiffbrüchigen eines Volkes sind, das charakterlich den Shadoks nicht unähnlich scheint, allerdings mehr als vier Silben beherrscht (zum Leidwesen aller in Hörweite Befindlichen). Der Entschluss dieser Vorfahren, auf der steinzeitlichen Erde zuerst Blätter als Zahlungsmittel einzuführen und dann zur Verhinderung einer Inflation alle Laubwälder niederzubrennen, entspricht ziemlich genau der Mentalität der Shadoks. Und wenn sich nach abendlicher Betrachtung der ein und anderen Shadok-Folge die geneigten Filmfreunde den Tagesnachrichten zuwenden, mag es durchaus den ein und anderen unter ihnen geben, der denkt, ein so chaotisches Kinderkrakeluniversum sei vielleicht doch eine recht treffende Wiedergabe einiger der Realitäten um uns herum. Und im Zuge der immer hektischer und chaotischer werdenden Informationsgesellschaft erscheinen ihm dann vielleicht sogar momentelang die markigen Aussagen des Shadok-Obermatrosen, wie das alles in der Marine gehandhabt werde, als merkwürdig plausible und wohltuend einfache Strategie:
„Es wird alles gegrüßt, was sich bewegt, und der Rest wird angestrichen!“
Auf der kürzlich erschienenen DVD „Die Shadoks und die Gibis reisen zur Erde“ kann man sich die komplette erste Staffel (52 urspr. zweiminütige Kurzfilme, hier zusammengefasst auf 13 Episoden à ca. 7min) ansehen. Wer alle Staffeln haben möchte, muss sich z.Zt. noch die französischen Originale besorgen.
Ansonsten verweise ich auf den Wikipedia-Eintrag zu „Die Shadoks“ und natürlich auf die Fanseite, wo es übrigens auch das über 70seitige illustrierte Shadok-Buch im pdf-Format kostenfrei zum Herunterladen gibt.