#Japanuary 2021 Nr. 4: NOKAN – DIE KUNST DES AUSKLANGS (Okuribito)

Masahiro Motoki in NOKAN / OKURIBITO © 2008 KOOL Filmdistribution

Folge 1095
Hendrik und Thomas lernen in NOKAN – KUNST DES AUSKLANGS japanische Bestattungsriten kennen
Länge: 59:07


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10 Jahre hat es gedauert, bis aus der Herzensangelegenheit des Schauspielers Masahiro Motoki (bekannt aus Takashi Miikes THE BIRD PEOPLE OF CHINA) der Film OKURIBITO von Yojiro Takita wurde. Es geht um Daigo Kobayashi, der seinen Job als Cellist in einem Orchester verliert und mit seiner Frau die Metropole Tokyo verlässt und zurückkehrt in seine Heimatstadt Yamagata. Dort findet er einen Job als Leichenwäscher. Zuerst fällt ihm die Arbeit sehr schwer, aber dann findet er Gefallen an diesem sozial geächteten Beruf. OKURIBITO hat 2008 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film bekommen und ist unser vierter Beitrag zum #Japanuary2021.

Der Originaltitel OKURIBITO ist ein zusammengesetztes Kunstwort und bedeutet „Eine Person, die andere verabschiedet/geleitet“. Das trifft die Funktion der Einsargung (japanisch „Nokan“) genau, die im Film mehrfach gezeigt wird: Es handelt sich um einen wichtigen Übergangsritus, der der Angehörigen hilft, den Verlust zu bewältigen und sich zu verabschieden. Daigo und sein Lehrmeister Shoei Sasaji (gespielt von Tsutomu Yamazaki), waschen den Körper des Verstorbenen vor den Augen der Angehörigen, ohne dass die Leiche dabei entblößt wird. Der Verstorbene wird in das Totengewand gekleidet und geschminkt. Im Film erleben die Männer als Nokansha (Bestatter) während der Zeremonie ganz unterschiedliche Reaktionen: vom friedlich-tröstlichen Abschied mit Kussmundlippenabdruck bis hin zu aufbrechenden Konflikten mit Rockerbanden. Das im Film gezeigte Ritual ist allerdings in Japan mittlerweile eher die Ausnahme.

OKURIBITO ist ein Film der überwiegend leisen Töne mit einem sanften, trockenen Humor und berührenden, traurigen Szenen. Es ist auch ein Film über Aussöhnung zwischen den Generationen und auch zwischen den Eheleuten Daigo und Mika, die zwischenzeitlich getrennt sind, das sie ihren Mann durch den Beruf als „unrein“ empfindet. In der Tat spielt die rituelle Unreinheit (kegare) im Buddhismus eine wichtige Rolle. Aber Mika ändert ihre Einstellung, als sie bei der Zeremonie zusieht und erkennt mit welcher Ruhe, Hingabe und Sorgfalt Daigo den Verstorbenen und den Angehörigen einen ruhigen und würdevollen Übergang ermöglicht.

OKURIBITO ist nicht der einzige Film, in dem Beerdigungen eine Rolle spielen: Auch in Ozus TOKYO MONOGATARI von 1953 ist eine Totenfeier zu sehen, aber vor allem in OSOSHIKI (The Funeral) von 1984, dem Debutfilm von Juzo Itami, den wir als Regisseur von TAMPOPO und DIE STEUEREINTREIBERIN kennen. In OSOSHIKI dreht sich alles um eine Bestattung, in deren Verlauf alle Familienprobleme sichtbar werden. Eine der Hauptrollen spielte 1984 Tsutomo Yamazaki, der in NOKAN den wortkargen Chef des Bestattungsunternehmens spielt. NOKAN-Regisseur Itami und vor allem Hauptdarsteller Motoki haben für den Film die Rituale und das Handwerk erlernt, Motoki hat sogar das Cello-Spielen gelernt. Über alle diese Themen und über öffentliche Badehäuser, Essen mit dem Chef, über „Stein-Briefe“, über Gesichtsverlust, dreieckige Häuser und eigene Trauererfahrungen sprechen Hendrik und Thomas in dieser einstündigen Episode.



Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)
Musik von Johannes Klan


Nokan – Die Kunst des Ausklangs (Okuribito)
Japan 2008, 131 Min., Regie: Yojiro Takita


Der Trailer


Andere Meinungen

„Wie so viele japanische Dramen – man denke nur an Shohei Imamuras „Der Aal“- gefällt auch Takitas neuer Film durch seine ausgeglichene Ruhe. Der japanische Regisseur scheut sich nicht, seinen Film auf mehr als zwei Stunden Länge zu dehnen. Es zeichnet ihn jedoch aus, daß dem Zuseher die Spielzeit nichts ausmacht. Im Gegenteil: Eigentlich könnte man den ganzen Tag dabei zusehen, wie Kobayashi die friedlich daliegenden Leichen wäscht, ankleidet, schminkt und in der Freizeit versucht, auf seinem abgenutzten Kindercello Erinnerungen an den Vater heraufzubeschwören. Gerade der zeremonielle Teil des Aufbahrens und Herrichtens rührt des öfteren zu Tränen. Takita trifft dabei mehr als nur den richtigen Ton. Er erschafft Bilder von einer berührend schönen Simplizität, unterlegt von Joe Hisaishis Musik. Hier fügt sich auch die schauspielerische Arbeit von Motoko, Yamazaki und Hirosue nahtlos ein, die „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“ zu einem exzellenten japanischen Drama macht. Selten hat man sich im Kino respektvoller und anmutiger dem Tod und dem, was danach kommt, gewidmet.“
Florian Lieb für evolver.at

„Es ist fast so, als wenn ihm ab irgendwann schließlich etwas Erhabenes anhaftet, wie bei einem Wächter, der die Toten ins nächste Reich begleitet. Sein Beruf wird anfangs von seinen Freunden oder seiner Frau nicht gutgeheißen, ja es sieht sogar so aus, als wenn er deswegen seine Frau verlieren würde, aber wer ihn bei seiner Arbeit sieht, bekommt ein ganz anderes Bild von seinem Beruf und auch der Zuschauer muss schließlich erkennen, dass es sich bei dem traditionellen Bestatten um eine Kunstform handelt. Eine Kunstform, die auf einer alten buddhistischen Tradition beruht und den Respekt vor den Toten im Zentrum hat. Eine Kunstform, die immer seltener und fast nur noch in ländlichen Gegenden durchgeführt wird. Der Film basiert lose auf der Geschichte von Aoki Shinmon „Coffinman: The Journal of a Buddhist Mortician“.“
Manfred Selzer für Asianmovieweb.com

„Heitere und teils groteske Momente zum Schmunzeln wechseln sich mit zutiefst berührenden Szenen des japanischen Rituals der Leichenaufbahrung ab. Jeder Handgriff beim Waschen des toten Körpers ist genau gesetzt, die Farbe des Lippenstifts für das erstarrte Gesicht exakt abgestimmt. Hauptdarsteller Masahiro Motoki begleitete bei der Vorbereitung auf die Rolle einen echten Aufbahrer, um die Zeremonie selbst nach den strengen Regeln durchführen zu können. Sympathisch und zurückhaltend fügt er sich als Daigo seinem Schicksal. Zwar wird das Nokan-Zeremoniell ein wenig zu lang und zu oft gezeigt, doch mit fortschreitender Handlung rührt es zunehmend zu Tränen.“
Bettina Friemel für filmreporter.de

„Der Oscar ist nur die prominenteste einer ganzen Kaskade von Auszeichnungen, die über diesen bisweilen noblen Wohlfühlfilm hereingebrochen ist. In Japan wurde »NOKAN – DIE KUNST DES AUSKLANGS«, vor dessen (angeblich) tabuisierten Thema anfangs sämtliche Studios zurückschreckten, zu einem veritablen gesellschaftlichen Phänomen. Sein wesentlich der Mundpropaganda zu verdankender Kassenerfolg hat nicht nur einen lebhaften Drehort-Tourismus ausgelöst, sondern Korrespondentenberichten zufolge auch einem bis dahin geächteten Berufszweig unverhofften Zustrom beschert.“
Gerhard Midding für epd-Film