Vom Ärger am Ende des Tunnels: „Krieg der Seelen“, der neue Roman von Iain Banks

Hendrik taucht ein in den neuesten Kultur-Roman von Iain Banks, „Krieg der Seelen“ (Surface Detail)

Mit freundlicher Genehmigung des Heyneverlags

Es ist – ein weiteres Mal – ein bisschen komplizierter als ein simpler Kampf Gut-gegen-Böse, obgleich es doch um die Existenz von Himmeln und Höllen (vor allem Letztere) geht, und das ist schließlich eines der ältesten und vertrautesten Gut-gegen-Böses, das wir kennen.

Stellen wir uns vor, irgendwann in ferner Zukunft würden wir beginnen, unsere archaischen Jenseitsvorstellungen in Form virtueller Realitäten betretbare Gestalt annehmen zu lassen – zu einer Zeit, zu der Bewusstseinsinhalte, Identitäten (und/oder meinetwegen auch ‚Seelen‘) gespeichert und kopiert werden können. Stellen wir uns ferner vor, wir wären nur eine von einer Unzahl von Zivilisationen und Rassen in einem Universum voller Wunder: gigantischer Ringhabitate im Orbit von Großplaneten, stadtgroßer intelligenter Raumschiffe mit eigener Persönlichkeit, schier unglaublicher technischer Möglichkeiten und individueller Exzentrizitäten. Dann haben wir einen ersten Eindruck von diesem Teil des Kultur-Universums von Iain Banks, in dem schon einige seiner Romane gespielt haben, und von dem wir immerhin schonmal wissen: es ist immer noch ein bisschen größer und unglaublicher als alles, worauf wir selbst gekommen wären. Aber passt zu einer solchen Welt die Idee, noch an so etwas Antiquiertes wie eine Hölle zu glauben? Hier schon:

„Die Höllen existierten, weil manche Glaubensrichtungen auf ihnen bestanden, wie auch manche Gesellschaften, selbst ohne den Vorwand übertriebener Religiosität.
Ob nun als Resultat einer zu getreuen Übertragung schriftlicher Überlieferung in konkrete Aktualität oder schlicht auf der Grundlage eines säkularen Bedürfnisses, auch weiterhin jene zu bestrafen, die Strafe verdienten, selbst nach ihrem Tod: Einige ansonsten sehr respektable Zivilisationen hatten im Lauf der Äonen eindrucksvolle Höllen konstruiert, die nur selten mit anderen Jenseits-Versionen verbunden waren, ob höllischer Natur oder nicht, und unter strenger Beobachtung standen. Für gewöhnlich dienten sie nur dazu, den Schmerz der Leidenden mit Mitteln zu erhöhen, die ihren eigenen Völkern nicht eingefallen waren, oder die alten Methoden nicht von den vertrauten Dämonen, sondern von extra-scheußlichen anwenden zu lassen.
Ganz langsam, vielleicht wegen der zufälligen Mischung der verschiedenen daran beteiligten Zivilisationen, entstand eine Art Netzwerk von Höllen, noch immer nur teilweise verbunden und mit Wechselwirkungen, die einer strengen Kontrolle unterlagen, und die Nachricht von ihrer Existenz und Beschaffenheit zog immer weitere Kreise.
Mit der Zeit ergab sich Ärger daraus.“ [S. 172]

In den sich mehr und mehr anbahnenden Konflikt zwischen Höllen-Befürwortern und Höllen-Gegnern sind einige Charaktere geworfen, die teilweise damit und auch miteinander gar nichts zu tun zu haben scheinen. Ein stinkreicher Perversling misshandelt ein Mündel, das daraufhin Rache schwört. Ein Paar von Anti-Höllisten hat sich zu Dokumentationszwecken in eine der Höllen hineinbegeben – und nur einer von beiden findet wieder heraus. Das Bewusstsein ein- und desselben alten Haudegens kämpft in verschiedensten Szenarien auf verschiedenste Arten den immer gleichen Kampf. Ein exzentrisches altes intelligentes Raumschiff hat einst einer schönen jungen Frau ein Geschenk gemacht, und diese Tat hat unerwartete Konsequenzen. Ein hochtrainierter gelangweilter Kampfkreuzer sehnt sich nach dem Kampf seines Lebens. Auch eine/e (geschlechtslose) Agent/in einer eschatologischen Sonderabteilung der Kultur hofft auf den ersten wichtigen Auftrag.

Erst parallel und dann nach und nach interagierend entwickeln sich all diese Geschichten, was zunächst verwirrend ist, aber zugleich auch großen Spaß macht. Nicht alle finden, was sie suchen, und einige finden den Tod. Einige finden ihn mehrmals. Zu schon bekannten Requisiten – den intelligenten Raumschiffen mit meist ebenso exzentrischen Namen wie Charakteren („Jede Menge Angriff“, „Vernunft inmitten von Wahnsinn, Scharfsinn bei Aberwitz“ oder auch „Aus dem Rahmen normaler moralischer Reflexionen fallend“), der Metazivilisation der Kultur selbst und ihrem Äquivalent zu einem Geheimdienst, der Abteilung BU (Besondere Umstände) – kommen zahlreiche weitere hinzu.

Das Schöne aber an dem Riesen-Universum, das Iain Banks in seinen Kultur-Romanen erschaffen hat, ist, dass es zum allergrößten Teil mit der Handlung gar nichts zu tun hat. Es ist wie die weite Hügellandschaft im Hintergrund eines epischen Westerns oder die immer wieder von oben kurz eingeblendete Metropole, in deren dunklen Gassen sich eine Verfolgungsjagd abspielt. In der Nachbarstraße, ein Tal weiter, in der Zivilisation nebenan interessiert keinen, was sich hier abspielt. Die Dimensionen der Ereignisse sind zwar immer noch gewaltig, aber Banks ist so klug, nicht immer gleich das ganze Universum als Wetteinsatz zu riskieren. Damit wird der dann statt dessen gewählte Plot unbehäbiger und dynamischer, und die Schicksale der Charaktere, denen man begegnet, bleiben relevanter und interessanter. Und am Ende ist es die Summe der vielen unkoordinierten kleinen einzelnen Schicksale und Entscheidungen, die zu einem bestimmten großen Ganzen führt, das andere dann irgendwann DIE Geschichte nennen werden.

Man kann sich, falls man zufällig humanoid ist, geschmeichelt fühlen davon, dass Iain Banks sich vorstellt, ausgerechnet unsere Jenseitsvisionen würden sich in einem solchen Kontext als so beliebt erweisen; andere mögen dagegenmeckern, Banks hätte hier noch mehr Fremdrassenexotismus walten lassen können; wieder andere werden sich ohnehin mit der ganzen Idee nicht anfreunden können. Man mag auch kritisieren, dass womöglich die ein und andere Figur nicht so zu ihrer Entfaltung kommt, wie es machbar gewesen wäre – über solche Details lässt sich ewig diskutieren.

In der Summe und für mich ganz persönlich überzeugt „Krieg der Seelen“ trotz seines in meinen Augen etwas unglücklich geratenen deutschen Titels völlig. Den Titel will ich dem Übersetzer Andreas Brandhorst nicht anlasten, denn der hat einen spürbar guten Job gemacht (nicht immer einfach bei Banks, man schafft sich gewisslich sehr seltsame Lexika an), auch wenn er zuweilen gegen den anschließenden Autokorrekturdurchlauf verloren zu haben scheint. Mein Lieblings-Kulturroman wird „Krieg der Seelen“ nicht werden – das ist und bleibt „Exzession“ -, aber ich zähle ihn zu den Besseren der ohnehin sehr guten Reihe. SF von Iain Banks lesen heißt, sich einem der definitiv Besten anzuvertrauen. Und – vielleicht als Andeutung von etwas Großem, worauf wir uns noch freuen dürfen, vielleicht auch nur als Insiderpointe – mit dem allerletzten Wort des Romans stellt Banks dann noch eine Verknüpfung zu einem der früheren Kultur-Romane, „Einsatz der Waffen“her.

Man mag sich beschweren, Banks hätte hier zwar mal wieder so ziemlich alle anderen, aber nicht sich selbst übertroffen – mir genügt das.

Iain Banks, „Krieg der Seelen“ (Surface Detail) erschien im Januar 2012 beim Heyne Verlag. 800 Seiten. Deutsch von Andreas Brandhorst.

Unsere Liste von Iain Banks-Rezensionen wird länger:
SF:
Die Sphären, Ein Geschenk der Kultur (Stories), Der Algebraist
Non-SF:
Straße der Krähen, Die Wespenfabrik, Träume vom Kanal, Die Aufsteigerin
Wir arbeiten dran.

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