Während Prof. Pu Urlaub nimmt, geht Hendrik auf eine Reise – und nimmt uns mit an Orte, wo wir noch nie gewesen sind … oder doch? Dritter und letzter Teil.
XIII.
Ein reizvoller SF-Ort, der innerhalb seiner eigenen Fiktion wiederum eine Fiktion darstellt, ist jenes weltumspannende gigantische Haus, in dem einige Episoden von Tad Williams‘ „Otherland“ spielen; allerdings hätte ich hier stets Angst, dass einer den Stecker zieht und wüsste gern, wo sich mein Körper derweil aufhält.
XIV.
Es ist Skeptikern der Science Fiction oft nicht klar, aber der Handlungsort eines gewichtig großen Teils des Genres ist ganz klar die gute alte Erde – wenngleich eine Erde in den verschiedensten Variationen. Obschon sich hier sehr viele Klassiker tummeln – die Erde der Eloi und Morloks, jene des Großen Bruders, der Soylentfabriken oder des Kanonenclubs – sind die meisten davon zu düster, um anders als per Buch bereist zu werden. Von all den Varianten würde ich daher die Erde aus „Stadt der Illusionen“ (Ursula K. Le Guin) am liebsten besuchen: menschliche Heimat, die sich durch das Vergehen vieler Jahrtausende von dem zerstörerischen Wüten ihrer Schöpfung erholt und ein Gleichgewicht gefunden hat, eine neue Art von Heimat für eine neue Art von Mensch geworden ist – und doch genügend Abenteuer und Kontrast und Geheimnis besitzt, um wirklich aufregend zu sein.
XV.
Mir fallen noch einige weitere Welten ein, die anzusehen ich keineswegs ablehnen würde – solche, die umfangreich erzählt wurden, wie der Großplanet Helliconia mit seinem Tausende von Jahren währenden Jahreszeitenzyklus (Brian W. Aldiss), bis hin zu solchen, die nur in Nebensätzen Erwähnung finden („… o die santraginesischen Meere … oh, die santraginesischen Fische!!“) und sogar bis hin zu solchen, die in ihrer eigenen Fiktion nicht mehr in dieser Form existieren (das Narn vor der Zerstörung durch die Centauri, Vogsphäre vor der Evolution der Vogonen…). Aber dann würde die Liste, wie schon erwähnt, meterlang – und die Zusatzbedingung der besonders starken Anregung meiner Phantasie erfüllen sie auch nicht wirklich.
XVI.
Daher seien zuletzt nur noch wenige letzte Orte erwähnt, welche dieses wichtigste Kriterium erfüllen. Den ersten Ort habe ich an anderer Stelle bereits erwähnt und geschildert, es ist die Gartenbibliothek der Mahigul (Ursula K. Le Guin, Changing Planes).
XVII.
Der zweite Ort ist auf den ersten Blick eher einer der Fantasy als der SF. Aber bei der SF ist ja nicht immer die Wissenschaft des Raumflugs und der Astronomie zentral, es mag auch zuweilen die der Ethnologie sein. Und so ist, glaube ich, der Ort, den ich in Büchern in neuerer Zeit am faszinierendsten empfand, das Tal aus Always Coming Home, der (nie ins Deutsche übersetzten) fiktionalen Ethnographie der Kesh, eines fiktiven indianischen Volkes, das in einem weiten Tal in einem fiktiven Nordkalifornien lebt(e): „The people in this book might be going to have lived a long long time from now in Northern California.“ ist einer der schönsten mir bekannten ersten Sätze einer Buchreise[ent]führung, und wenn man mich wahrhaft lesebeglückt finden möchte, wird das in der Gesamtschau vermutlich auch weiterhin meist irgendwo zwischen hier und Altair-4 stattfinden.
XVIII.
Über die weiteren, hier daher letztgenannten SF-Orte meiner Reisewunschliste wurde kaum je ein erzählerisches Wort verloren, denn es handelt sich um die weit geschwungenen Landschaften, die schwebenden Berge und unerschöpflichen ins Nichts stürzenden Meere der Gemälde Roger Deans, Rodney Matthews‘ und Patrick Woodroffes, auf denen gewundene Pfade sich um organische Türme ranken, gigantische Segelschiffe durch die Luft reisen, skurrile Lebewesen in wandernden Städten wohnen, Musiker und Kämpfer auf geflügelten Rossen durch die Lüfte gleiten, während im Hintergrund die Raumschiffwracks längst vergessener Kriege vom Dschungel überwuchert sind. Ungestört von erzählerischen Vorgaben konnte ich mich seit jeher wunderbar in diesen Welten verlieren – die ich zunächst von Plattencovern, später aus Bildbänden kannte, und von denen u.a. James Cameron ganz sicher auch einige besitzt. Hier ist manchmal die Eleganz einer geschwungenen Linie eine so universelle Kraft, dass sie die Gravitation außer Dienst setzt. Gemeinsam mit den vielen anderen Bildern meiner Sammlung von Raumschiffen, fremden Völkern und Welten bilden diese ein kollektives Universum der Vorstellungen aller Menschen, die sich das Träumen und Phantasieren weder durch allgemeine zivilisatorische Phantasielosigkeit noch durch die Special Effects der Phantasien anderer nehmen lassen. Und diesen nichtendend vielgestaltigen Ort immer wieder gern zu besuchen und auf diesem Wege durch mich selbst zu erweitern, ist (außer Konkurrenz) ganz klar eine meiner allerliebsten SF-Reisen.