Die Frau, die Donnerstag war: ein Zwischenhoch auf die Romane von Jasper Fforde

Richtig, heute wäre „Prof. Pu und die Pücher“ dran. Allerdings: Prof. Pu macht Pause. Dennoch, lieber Bücherfreund, gibt es eine Buchempfehlung – von Hendrik. Er genießt die Romane von Jasper Fforde um die Literaturagentin Thursday Next.

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[Verpackungshinweis: Diese Rezension ist spoilerfrei, enthält jedoch möglicherweise Schachtelsätze.]

„Zwanzig Sekunden nach Janes Entführung bemerkte die erste Leserin merkwürdige Vorgänge auf Seite 107 der ledergebundenen Luxusausgabe ihres Lieblingsromans. Nach einer halben Stunde bildeten sich vor den Eingängen zur Bibliothek des Britischen Museums lange Schlangen von Literaturfreunden, die alle nach ‚Jane Eyre‘ fragten. […] Der Roman war inzwischen erheblich entstellt: Irgendwo zwischen Seite 100 und 140, unmittelbar nach dem Brand in Rochesters Zimmer drang ein mysteriöser ‚Agent in Schwarz‘ in den Roman ein, und kurz danach brach die Geschichte abrupt ab.“ (Fforde, Der Fall Jane Eyre, p. 303-304)

Es gibt ja immer noch Leute, die meinen, Genreliteratur könne praktisch unmöglich GUTE Literatur sein, schon gar nicht, wenn sie dann auch noch witzig ist. Genremixliteratur? Noch schlimmer! Diese Art von Verkniffenheit ist in der Welt, in der diese bislang fünf im doppelten Wortsinn phantastischen Kriminalromane spielen, vermutlich strafbar.

Die junge ‚Literaturagentin‘ Thursday Next ist nicht etwa in der Verlagsbranche, sondern arbeitet bei SpecOps, einer Spezialpolizei, die sich mit Literaturverbrechen beschäftigt. Ihr Vater ist/war/wird sein (das ist nicht immer ganz sicher…) Agent bei der Zeitpolizei, während einer ihrer Freunde sich um Zombies, Vampire und andere Ausbrüche der ungesünderen Sorte Phantasie kümmert. Ach ja, ihr Großvater Mycroft hat ein Portal erfunden, mit dem man sich in Bücher hinein lesen kann, und wer sich wirklich, wirklich unartig benommen hat, wird zur Strafe auch schonmal in Edgar Allan Poes ‚The Raven‘ versetzt.

Gleich ihr erster Fall macht Thursday in dieser Welt berühmt, denn sie tritt gegen einen erpresserischen Bösewicht an, der eine der namhaftesten Hauptfiguren der englischen Literatur aus ihrem eigenen Roman entführt (woraufhin Brontes ‚Jane Eyre‘ seeehr langweilig wird). Und genau deswegen darf sie danach immer wieder gegen die größten Übeltäter antreten – ob gegen einen fanatischen Serienkiller (ein Verbrechen, das hier natürlich eine völlig andere Bedeutung hat) oder gegen den Konzerngiganten Goliath, der immer wieder versucht, an Mycrofts Erfindungen heranzukommen, um noch viel mehr Geld zu verdienen.

Diese weiteren Abenteuer erweisen sich als höchst amüsant und zunehmend verwickelt, z.B. wenn Thursday im fünften Band, mittlerweile auch in der Buchwelt Heldin ihrer eigenen, dort allerdings schlecht geschriebenen Buchreihe, gemeinsam mit ihrem esoterisch veranlagten Selbst aus dem erfolglosen fünften Band dieser Serie gegen ihr skrupelloses Selbst aus den Bänden 1-4 (den erfolgreichen mit dem Sex und dem Blut) antritt. Das klingt ja völlig verrückt, denken Sie? Ist es auch, und dabei auf literaturliebende, spielintelligente geistvolle Weise einfach herrlich.

Es stört dabei nicht einmal, dass Fforde zuweilen vor lauter Spaß an der Beschreibung die Handlung etwas abhanden kommt, denn diese Welterklärungen wären auch unter Fortlassung jeden Geschehens reizvoll:

„<Thursday, du darfst nie vergessen, dass unser Denken, sei es nun religiös, philosophisch oder wissenschaftlich, ebensolchen Moden unterliegt wie unser Musikgeschmack und unsere Kleidung. Es ist wie mit den Rockbands. Die Veränderungen dauern nur etwas länger.>
<Das wissenschaftliche Denken ist eine Rockband? Wie darf ich mir denn das vorstellen?>
<Na ja, alle paar Jahre kommt eine neue Gruppe daher. Wir hören sie im Radio, wir mögen sie, kaufen die Schallplatten und Poster, lassen sie im Fernsehen auftreten, machen sie zu Idolen, bis eines Tages — >
< — die nächste Gruppe daherkommt?>
<Genau. Aristoteles war so eine Rockband. Eine sehr gute, aber auch schon die sechste oder siebte. Er war die beste Band bis zu Isaac Newton, aber auch der wurde inzwischen durch einigere neuere Boy-Bands ersetzt. Anderer Haarschnitt, andere Bewegungen, andere Musik.>
<Einstein, hab ich Recht?>
<Genau. Verstehst du, was ich sage?>
<Ich glaube.>
<Gut. Dann versuch dir jetzt mal vorzustellen, was vielleicht dreißig oder vierzig Rockgruppen nach Einstein gedacht wird. Stell dir eine Welt vor, in der Einstein als jemand gilt, der auf sieben Alben zum Vergessen immerhin zwei, drei gute Akkorde gespielt hat.>“ (Fforde, In einem anderen Buch, p. 65-66)

Der Waliser Jasper Fforde hat – und liegt damit in einer schönen Tradition, die schon zu Laurence Sterne und Saki zurückreicht – deutlich spürbar eine solche Freude am Erzählen, dass sich das einfach überträgt. Lorenz bzw. Joachim Sterns Übersetzungen ins Deutsche sind recht gelungen, so dass nicht nur der versiertere Fan der englischen Klassiker etwas von den ganzen Anspielungen hat.

Wenn Sie also erfahren möchten, warum Fforde zwischenzeitlich Ehrenbürgermeister von Swindon wurde, was ein Fußnotofon ist, wo Literaturagenten Urlaub machen, warum der englisch-walisische Käseschmuggel so floriert und wie man sich korrekt verhält, wenn man sich im falschen Roman in einer Szene befindet, die gerade gelesen wird (man drückt sich natürlich an die am wenigsten beschriebene Wand und hofft auf einen unaufmerksamen Leser), dann sind sie in diesen Lektüren genau richtig. Das ist alles fast so komisch, wie es die aberwitzig quirligen Romane von Thomas Hardy waren, bevor dort jemand illegal den Humor absaugte – und wenn Sie jetzt lachen können, dann wissen Sie, warum es so wichtig ist, dass es eine Literaturpolizei gibt.

Ich empfehle also unumschränkt die bisher bei dtv erschienenen fünf Bände der Reihe – ‚Der Fall Jane Eyre‘, ‚In einem anderen Buch‘, ‚Im Brunnen der Manuskripte‘, ‚Es ist was faul‘ sowie ‚Irgendwo ganz anders‘ (Einhalten der Lesereihenfolge empfohlen) und freue mich jetzt bereits auf den in diesem Jahr fälligen Band ‚Wo ist Thursday Next?‘. Schade nur, dass man bei dtv bis heute nicht in der Lage war, es mal bei einem einheitlichen Layout zu belassen und so die Bücher je nach Auflage mal im größeren, mal im kleineren Format und in untereinander unpassenden Covern herausgegeben hat. Auf der Plusseite hat man auch die Special Features mit in die deutschen Ausgaben übernommen, wie die Werbung des walisischen Touristenverbandes („Wales – not always raining!“), die Allergiehinweise („Warnung: Der Autor hat bei der Arbeit an diesem Buch möglicherweise Nüsse gegessen.“) und so fort.

Abschließend noch ein kurzes Zitat, das eigentlich selbst die beste Rezension und Inhaltsangabe der Reihe ist:

„<Und? Wie war dein erster Tag?> fragte er.
<Eine Entführung, Vampire, ich habe einen Verdächtigen erschossen, einen Zeugen an einen Profikiller verloren, Goliath hat versucht, mich umlegen zu lassen, und außerdem hatte ich einen Platten. In einem Wort: der übliche Mist.>
<Einen Platten? Im Ernst?>“ (Fforde, Der Fall Jane Eyre, P. 187)

Die Liste der Thursday Next-Romane von Jasper Fforde

1. Der Fall Jane Eyre (The Eyre Affair)
ISBN 978-3423212939

2. In einem anderen Buch (Lost in a Good Book)
ISBN 978-3423212946

3. Im Brunnen der Manuskripte (The Well of Lost Plots)
ISBN 978-3423210492

4. Es ist was faul (Something Rotten)
ISBN 978-3423245685

5. Irgendwo ganz anders (First among Sequels)
ISBN 978-3423212977

6. Wo ist Thursday Next? (One of our Thursdays is Missing)
ISBN 978-3423214537
Erscheinungstermin 1. Juli 2013 – als eBook bereits erhältlich

7. The Woman Who Died a Lot
noch nicht übersetzt

Text und Podcast stehen unter einer Creative Commons-Lizenz.
Quelle: Hendrik Schulthe/SchönerDenken

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