Wellenmänner auf verlorenem Posten (2) Akira Kurosawas „Die Sieben Samurai“

BIG IN JAPAN: SchönerDenken berichtete vom Filmfestival “Nippon Connection” und widmet auch sonst den ganzen April der japanischen Kultur. Götz wimdet sich daher in seinem zweiteiligen Essay dem elegischen Meisterwerk „Die Sieben Samurai“ von Akira Kurosawa.

II.

Fast eine Stunde lang nimmt sich Kurosawa Zeit, um die sieben Samurai zusammenfinden zu lassen. Allen fehlt eine große Aufgabe: keiner misst sich mehr mit seinesgleichen. Am augenfälligsten wird dies bei Heihachi, der Holzscheite spaltet und dabei wie bei einem rituellen Kampfsport Schreie ausstößt, als würde er die Köpfe seiner Feinde treffen. Er vermag immerhin sein Schicksal mit Selbstironie zu tragen.

Der zweite Teil des Films zeigt die Vorbereitungen auf die Konfrontation mit den Banditen. Die Samurai lassen das Dorf befestigen und bilden die Bauern mühevoll für den Kampf aus. Viele Bauern sind misstrauisch. Die Fremdheit zwischen den Bauern und den Kriegern, das wechselseitige Nichtverstehen der inneren Verfassung, der Lebenswirklichkeit des anderen scheinen unüberbrückbar zu sein. Der Abgrund zwischen den beiden sozialen Klassen wird selten überbrückt: es gelingt nicht einmal der Liebe (die Beziehung des jüngsten Samurai zu einem Dorfmädchen droht an der sozialen Kluft zu scheitern: „Ich wollte, ich wäre die Tochter eines Samurai“, sagt Shino, deren Vater sie schlägt, als sie sich mit Katsushiro einlässt. ) Immer wieder scheitern die Samurai mit ihrer Sensibilität und ihrem Einfühlungsvermögen am Starrsinn und der Verstocktheit der Bauern.

Der Kampf wird auch von Seiten der Samurai gnadenlos geführt. Einmal schleicht sich ein Trupp von ihnen im Morgengrauen an das Lager der schlafenden Räuber an und zündet deren Haus an. Als die Räuber und ihre Frauen in Panik nackt aus dem qualmenden Gebäude stürzen, warten die Samurai am Ausgang und schlagen mit ihren Schwertern wahllos auf sie ein.
Den völlig sinnlosen Angriff auf das Räuberlager müssen die Samurai mit dem Tod Heihachis bezahlen und sie haben mit der Aktion die Räuber erst recht aufgestachelt. Sie haben selbst mit ihrem Ehrenkodex gebrochen und sich auf einen schmutzigen Kampf eingelassen, der immer unerbittlicher wird.

Auch unter den Banditen sind ehemalige Samurai, die in den Wirren der japanischen Bürgerkriege am Ende des 16. Jahrhunderts heimatlos geworden sind, da die alte Gesellschaftsordnung zerbrochen ist. Sie sind selbst Opfer der Zeitumstände und Kurosawas Inszenierung ist dem Western-Remake auch in- sofern überlegen, als er nicht schwarz-weiß zeichnet und im Zuschauer auch Mitleid für die immer wieder grausam sterbenden Banditen weckt. Wie in die Falle getriebene Großtiere werden sie einer nach dem anderen von den aus Bambusrohren gefertigten Lanzen der Bauern aufgespießt.

Die Kampfszenen sind rasant inszeniert, sparen nicht mit hartem Realismus und bleiben doch auch immer wieder auf Distanz. Die Kamera mischt sich ins Getümmel und nimmt sofort wieder die Perspektive des unbeteiligten Beobachters ein. Die widerläufigen Bewegungen: ein Pferd galoppiert in die eine Richtung, ein von Samurai angeführter Bauerntrupp rennt in die andere Richtung, auch diese Bewegung wird wieder gekreuzt von einer anderen. Die Kamera schaut von oben, zeigt den gesamten Dorfplatz, dann liegt sie auf dem Boden, folgt einem durch eine Wasserlache kriechenden Banditen. Diese raschen Wechsel sind aber wundervoll austariert, Lineare Muster, Zweige, Gitter, Zäune, Stangen strukturieren die Bilder. So entsteht ein Rhythmus, in dem das entscheidende nicht die einzelne Einstellung und die in ihr sich ereignende Bewegung, sondern der Wechsel, der Übergang der Einstellungen, das Vergehen der Bilder ist, denn wie kaum bei einem anderen Regisseur sind die Schnitte der Ort, wo der Film ganz bei sich ist. Die ruhigen Szenen sind in der Regel aufgeladen mit Emotionen, mit der ausdrucksvollen Mimik der Darsteller und den Actionszenen fehlt es nie an einem letzten Ruhemoment, da ein jedes Bild einen an den Meistern der japanischen Bildkunst geschulten Aufbau hat. Kurosawas Perspektiven sind ungewöhnlich, doch immer sinnvoll.

Das letzte Drittel des Films wird eingenommen von dem langsam eskalierenden Kampf, der in eine entscheidende Schlacht inmitten eines endzeitlichen Dauerregens mündet. Kyuzo der reinste, asketischste der Samurai wird nicht im Kampf von Mann zu Mann getötet, sondern hinterrücks erschossen, im Fallen schleudert er noch ziellos sein Schwert von sich. Die Räuber verfügen schon über Schusswaffen, werden damit als Vertreter der Neuzeit gekennzeichnet, in der für die Samurai kein Platz mehr sein wird. Noch einmal gelingt es mit vereinten Kräften, den Ansturm der Moderne abzuwehren, doch es ist nur ein Aufschub.

Es ist, als wollten die Samurai mit ihrem aussichtslosen Kampf ein letztes verbliebenes Idyll vor den Verwüstungen des Krieges, der das Land über Jahrzehnte heimsuchte, bewahren. Die Bauern führen ein Leben in der Dauer, im Maß der Jahreszeiten und ihren landwirtschaftlichen Aufgaben, die Samurai und die Banditen stehen außerhalb dieser natürlichen Ordnung.

Kyuzo liegt einmal, als sie auf der Verfolgung dreier Kundschafter sind, wie eins mit der Natur unter einem schattigen Baum, versunken in die Betrachtung einer Blume, die er zwischen seinen Fingern am Stiel dreht, befangen wie in einer Pastorale, einem ewigen Frieden. Und dann springt er, als die Räuber ahnungslos des Weges kommen, aus dieser Träumerei blitzschnell auf, um mechanisch zu töten.

Die Melancholie des Untergangs, die sich durch den Film zieht, macht aber auch vor der Welt der Bauern nicht Halt. Obwohl sie nach dem Sieg über die Banditen ihre Ernte feiern und mit Freude an die gemeinsame Feldarbeit gehen, weiß nicht nur der japanische Zuschauer, dass die Agrarkultur verschwinden wird. „Gewonnen haben nur die Bauern und nicht die Samurai“, sagt Kambei. Doch Kurosawas Elegie über den Gang der Geschichte deutet auch schon die Widersprüche in der bäuerlichen Gesellschaft an.

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