THE ZONE OF INTEREST: Im Paradies stört das Dröhnen der Verbrennungsöfen nicht

Sandra Hüller als Hedwig Höß in Jonathan Glazers THE ZONE OF INTEREST © 2023 Leonine

Sandra Hüller als Hedwig Höß in Jonathan Glazers THE ZONE OF INTEREST © 2023 Leonine

Was mir am stärksten aufgefallen ist in Jonathan Glazers THE ZONE OF INTEREST: Die Illusion, dass wir gar kein inzeniertes Bild sehen, die Illusion, das das Gezeigte „real“, bzw. „original“ ist. Besonders im ersten Drittel des Films vermitteln die Farben und Perspektiven den Eindruck, als würden wir Material sehen, dass 1943 vor Ort gedreht wurde. Diese Form der visuellen Inszenierung verstärkt enorm die Aussage des Films: Dass die Integration massenvernichtender Menschenverachtung in den eigenen Alltag diese Verbrechen erst ermöglicht. Die sonnige Gartenidylle, die Rudolf Höß‘ Ehefrau Hedwig auf der Außenseite des Vernichtungslagers Auschwitz, ist ein ebenso paradiesischer wie perverser Selbstbetrug – immer wieder hörbar durch das ständige, dunkle Brummen der Ringöfen und sichtbar durch Feuer und Rauch aus den Schornsteinen.

Es ist eine gute Entscheidung von Jonathan Glazer, dass wir als Zuschauer:innen die eigentlichen Verbrechen nicht sehen, denn so bleibt der Fokus ganz auf den Menschen, die die Verbrechen der Täter mittragen, befürworten und unterstützen. Im Podcast spreche ich mit Heidi und mit Gisela, deren Perspektive als Kriegskind (Jahrgang 1937) besonders interessant ist. Wir diskutieren die pathosfreie Darstellung der Nazis, den „Wannseekonferenz-Moment“, Sandra Hüllers großartige und furchterregende Darstellung der Hedwig Höß, über dunkelgraue Leinwände, den ungewöhnlichen Score und über unsere eigene Erinnerungen an den Besuch der Gedenkstätte in Auschwitz.


Folge 1268
Heidi, Gisela und Thomas mit ihrem ersten Eindruck von
THE ZONE OF INTEREST
Länge: 12:34


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Musik: Johannes Klan
Bild: © 2023 Leonine


The Zone of Interest
UK 2023, 106 Min., Buch und Regie: Jonathan Glazer


Meinungen

„Die Ansichten des Paradieses sind blutleer, buchstäblich wie bildlich. Es gibt keinen rechten Zugang zu den Figuren, da es weder Helden noch wirklich dramatische Handlung gäbe. Es ist bloß Alltag. Doch dröhnt etwas in ihm. Das Sounddesign ist wie unfokussiert, jedes Geräusch dringt schonungslos auf einen ein, wodurch Gespräche, Türknarren, aber auch diffuse Schüsse, Schläge, Schreie auf einer Ebene sind. Das Paradies wird zum Purgatorium, da das Höllische alles Schöne durchsetzt, unter jeder Oberfläche, in den Schatten eines jeden Blumenkelchs schlummert. Doch es flieht niemand, weil keiner die Frucht will.“
LordDescole

„Jonathan Glazers ausgeklügelte, überwiegend völlig starre Einstellungen, die eher Tableaus gleichen und die eigentlich immer auf denkbar größter Distanz zu den Figuren bleiben, sodass deren Mimik häufig nur schwer zu erkennen ist, als könne und wolle der Regisseur seinen Personen nicht in die Augen schauen, sind von bestechender und technokratischer Kühle. Sie deuten oftmals nur an, setzen erdrückende Rahmungen, wenn das Mittagessen der Familie durch einen Türrahmen hindurch gefilmt wird. So kalt und distanziert wie die Bilder sind auch die Emotionen, die hier fast immer unter Kontrolle gehalten werden.“
Joachim Kurz, kino-zeit.de

„Oft erst belanglos erscheinend, ergänzen sich die dramaturgisch präzise abgestimmten Ausschnitte zu einem verstörend ambivalenten Bild einer überzeugten NS-Familie, die, einander liebevoll zugewandt, den Opfern vollkommen empathielos begegnet. Die Grausamkeit offenbart sich – ein wenig Vorwissen vorausgesetzt – beiläufig, in Gesprächsschnipseln wie im visuellen Detail: Im Lippenstift einer vermutlich schon vergasten Jüdin, den Hedwig ausprobiert. Im Zahngold, das ein Sohn im Licht einer Taschenlampe unter der Bettdecke untersucht.“
Jörn Hetebrügge für kinofenster.de


Trailer