Hendrik beginnt das neue Jahr mit einem Gespräch mit Hannes Riffel vom Berliner Golkonda Verlag.
Zum nunmehr bereits dritten Mal widmet sich Schoener Denken in Form eines Interviews der Beschäftigung mit Werkausgaben gehobener phantastischer Literatur und vor allem mit den Personen, die kompetent und tatkräftig hinter diesen Ausgaben stehen. Im Fokus steht diesmal der junge, aber bereits in seinem Bereich gut angekommene Berliner Golkonda-Verlag und sein Gründer, der Übersetzer und Lektor Hannes Riffel.
Das ist der zweite Teil des Interviews, den ersten Teil gibt es hier.
SD: Während manche Verlage – insbesondere solche, deren Markenzeichen ebenfalls überdurchschnittlich sorgfältige Printeditionen sind – eine Heidenangst vor dem Thema eBook zu haben scheinen, ist ein großer Teil Ihres Angebots parallel in dieser Form erhältlich. Wie ist denn das Verhältnis von verkauften eBooks zu den Printausgaben bei Ihnen? Und kommt sich das in die Quere, oder werden hier einfach völlig verschiedene Interessentengruppen angesprochen, sodass das Medium eBook dem gedruckten Buch ähnlich wenig anhaben kann wie das Fernsehen offensichtlich dem Radio?
HR: Es ist mir weitgehend gleichgültig, ob die Leute unsere Bücher gedruckt oder elektronisch kaufen und lesen — das ist schließlich nur ein medialer Unterschied. Mir machen Printprodukte einfach mehr Spaß, zumal bei den eBooks ein Großteil unserer aufwändigen Innengestaltung auf der Strecke bleibt, aber das ist in erster Linie eine persönliche Vorliebe. Es steht mir nicht zu, leselustigen Menschen vorzuschreiben, in welcher Form sie unsere Bücher verschlingen sollen. Bisher ist das auch ein schöner Zusatzumsatz, aus dem noch mehr werden kann, also sehe ich das auf jeden Fall positiv.
Ein wenig nervt mich allerdings die Debatte, eBooks müssten signifikant billiger sein als die Printausgabe. Druckkosten sind zwar ein wesentlicher Kostenpunkt bei der Produktion von Büchern, aber eben nur einer unter vielen. Unser Setzer Hardy Kettlitz gestaltet auch die eBooks so aufwändig wie eben möglich, und das ist noch einmal genauso viel Arbeit wie der Satz für die Printausgabe bei meist viel niedrigeren Verkäufen. Außerdem geben Lizenzverträge aus dem Ausland meistens vor, dass eBooks nicht weniger als zwei Drittel der Printausgabe kosten dürfen, und auch daran müssen wir uns halten. Qualitativ hochwertige Bücher — und damit meine ich auch und vor allem den Inhalt — kosten eben Geld, und wer sich mit Schrott für Euro 1,99 abspeisen lassen möchte oder, fast noch schlimmer, mit kostenlosen Klassikerdownloads voller Fehler, soll das tun, aber unsere Zielgruppe ist das nicht.
SD: Ja das stimmt, auch bei eBookgestaltungen gibt es, wie ich bemerkte, gehörige Qualitätsunterschiede, bei der Rechtschreibung nur angefangen. Und miserabel edierte Klassikerausgaben konnte man seit jeher im Modernen Antiquariat bekommen (wer je die Göttliche Komödie in Schriftgrad 6 zu lesen versucht hat, weiss, was ich meine). So gesehen sind es evtl. gar nicht die bibliophilen Buchausgaben, denen das eBook eventuell Konkurrenz macht, vielleicht eher der Taschen- und Billigbuchsektor, der seit jeher einen Großteil seines Publikums bei Leuten findet, denen Inhalt und niedriger Preis wichtig sind, Gestaltung (inkl. Gestaltungssorgfalt) und Werthaltigkeit oft eher nicht. Gerade die Phantastik kennt allerdings auch sehr hochwertige Taschenbucheditionen, das darf man schon sagen, und die sehe ich auch noch nicht aussterben.
Wo sehen Sie denn insgesamt das Medium Buch in, sagen wir, 50 Jahren? Welche Formen wird das Lesen angenommen haben?
HR: Ich bin Verleger, kein Futurologe. Das Lesen von Büchern war schon immer die Beschäftigung einer Minderheit, die sich deshalb gerne zur Elite hochstilisierte. Und weil das Buch inzwischen noch mehr zum Randphänomen geworden ist, als es das schon immer war, verzweifeln die Bildungshuber am Leseverhalten des „Volkes“. Dabei wird heute weit mehr gelesen als je zuvor — nur eben nicht in Büchern, sondern im Netz, auf dem Tablet oder dem Handy. Wer das tragisch findet, verklärt seine eigenen Lesegewohnheiten und verteufelt alle anderen, und das ist ein Religionsstreit, der nicht hierher gehört. Wie die Leute lesen, ist ungefähr so wichtig wie die Frage, wie die Leute ihre Musik kaufen — als Schallplatte, CD oder Download. Alles andere betrifft Vertriebsstrukturen und Verteidiger längst überholter Pfründe wie den „Börsenverein des deutschen Buchhandels“.
SD: Also zusammengefasst: das Lesen hat definitiv Zukunft, und dann ist es nicht so relevant, auf welchen Wegen es stattfindet. Beruhigend eigentlich, da gibt es viel dunklere Visionen.
Zurück in die Gegenwart: Wenn Sie jetzt und hier frei die Veröffentlichungsrechte für das Gesamtwerk eines bisher im Deutschen noch nicht verlegerisch adäquat versorgten wirklich großen Autors (bzw. einer –Autorin) aussuchen dürften: welche/r Autor/in wäre das und warum?
HR: Da würde mir zu allererst Kurt Vonnegut einfallen, der hierzulande zwar teils in sehr guten Übersetzungen erschienen ist, aber doch sehr verstreut, und lieferbar ist im Moment auch sehr wenig. Außerdem bin ich ein großer Fan von Theodore Sturgeon, dessen erzählerisches Werk in den USA in fünfzehn schönen Bänden vorliegt, aber das ist ein Traum, der erst dann wahr wird, wenn uns da ein freigiebiger Fan mit einem sechsstelligen Betrag auf die Sprünge hilft. Bis dahin möchte ich auf die beiden „Best of“-Bände verweisen, von denen bei Shayol noch wenige Exemplare erhältlich sind.
SD: In der Tat, bei Vonnegut schreit es nach einer schönen Werkausgabe. Mit Sturgeons Werk bin ich nicht besonders vertraut, es scheint bereits einige Jahrzehnte her zu sein, dass es von ihm im Deutschen eine adäquate Auswahl an Büchern gab. Aber zwei wichtige Autoren sind es auf jeden Fall. Und wenn ich Ihnen z.B. das Werk des jüngst leider verstorbenen Iain M. Banks anbieten würde (mindestens zwei der Schoener-Denker bekommen schon bei der Vorstellung einer schönen Edition der Banks-Werke feuchte Augen…)?
HR: Da muss ich abwinken — ich schätze Banks bis zu einem gewissen Grad, halte ihn andererseits aber auch für äußerst überbewertet. Ich mag keine Autoren, die sich jahrzehntelang wiederholen und bei deren Romane Umfang und Substanz in keinem Verhältnis zueinander stehen. Momentan liegt uns auch mehr daran, neue Autoren zu entdecken (Barron, Bacigalupi, Chiang, Johnson, Marusek), als Bücher neu herauszugeben, die einem im Gebrauchtbuchhandel hinterhergeworfen werden. Was uns nicht daran hindert, mit der ersten vollständigen Ausgabe von Robert Silverbergs „SF Hall of Fame“ die besten Erzählungen aus der Frühzeit des Genres wieder zugänglich zu machen, aber auch das sehe ich eher als Versuch, jüngeren Lesern über die Tradition einen Zugang zur Gegenwart zu eröffnen — einen Königsweg zur SF sozusagen.
SD: Was Banks betrifft, werden wir uns da wohl nicht einig, aber das muss ja auch nicht sein. Zu Ihrer geplanten Anthologie: Führt der Königsweg zur SF tatsächlich über die Vergangenheit? Ich habe solche Aufarbeitungen (wie z.B. die „Wege zur SF“, die es von James Gunn herausgegeben vor Jahren gab) immer hochinteressant gefunden, aber vor allem, weil ich bereits Fan dieser Literatur war. Ist nicht auch und gerade ein jüngerer Erstleser u.U., sagen wir, dem Cyberpunk näher als dem Golden Age der SF, den Virtuellen Welten näher als den Mondraketen? Oder, anders gefragt: Ist nicht eine per se grenzgängerische und ideendynamische Literatur besonders stark veraltungsgefährdet?
HR: In gewissem Grade ja, aber die SF ist nun mal eine sehr geschichtsbewusste Literatur, die Autoren haben jedenfalls einen Teil ihrer großen Vorgänger gelesen. Und da ist dann ein ebenso handlicher wie umfassender Einstiegsschmöker wie die „SF Hall of Fame“ ideal, um so manches nachzuholen und das Spätere dann um so intensiver zu genießen. Ob man dazu allerdings Lust hat, muss natürlich jeder selbst entscheiden. Aber die Erzählungen von Asimov, Clarke, Heinlein, Padgett und anderen, die in dem (nicht nur von uns wegen des Umfangs zweigeteilten) Buch enthalten sind, stellen schlicht den Goldstandard der SF dar, und da sollte man schon mal zumindest reingeschnuppert haben.
SD: Was uns zu einem ganz bestimmten Klassiker führt, der auch ein schönes literarisches Edelmetalläquivalent darstellt:
Eines der Herzstücke Ihres bisherigen Programms – gewissermaßen sogar Verlagsnamensgeber, denn der Begriff Golkonda ist dem entlehnt – ist die mit Aufwand edierte Werkausgabe der Romane und Kurzgeschichten des russischen Autorenbrüderpaares Arkadi (1925-1991) und Boris (1933-2012) Strugatzki . Viele von mir befragte jüngere Genrefreunde kennen sie namentlich, haben aber nichts von ihnen gelesen. Sicherlich jedoch bildet das mehr als vier Jahrzehnte umspannende Oeuvre der Strugatzkis eines der zentralen östlichen Gegenstücke zur Übermacht der angloamerikanischen Autoren im Bereich der Phantastik.
Wie würden Sie persönlich das Werk der Strugatzkis beschreiben – was ist daran besonders, und vor allem: Was ist daran lesenswert?
HR: Die Strugatzkis gehören literarisch zum Besten, was die internationale Phantastik zu bieten hat. Ihre anspruchsvolle Auseinandersetzung mit der traditionellen SF auf der einen und dem Sowjetsystem auf der anderen Seite hat Werke hervorgebracht, die man immer wieder lesen kann und die die Zeiten überdauern werden. Mich beeindruckt dabei vor allem die Ironie, die in vielen ihrer Texte durchschimmert, das tapfere „Trotzdem“ angesichts der menschlichen Fehlbarkeit.
SD: Mir sind drei Verfilmungen von Werken der Strugatzkis bekannt – Tarkowskis „Stalker“ von 1979 natürlich, der 1989 entstandene „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ sowie der noch recht aktuelle „Dark Planet“, die Actionumsetzung der Maxim Kammerer-Trilogie. Was halten Sie denn von diesen Verfilmungen (soweit Sie Ihnen bekannt sind)?
HR: Ich kenne — und schätze — lediglich Tarkowskis „Stalker“, ansonsten hatte ich bisher noch keine Gelegenheit, oder besser gesagt keine Muse, mir die anderen Verfilmungen anzuschauen. Prinzipiell ziehe ich es allerdings vor, mir mein eigenes Kopfkino zu produzieren.
SD: … das bekanntlich das beste Kino ist, besonders wenn die Buchvorlage stimmt. Bis auf „Stalker“ sind die Strugatzki-Verfilmungen auch nicht so recht gelungen; obwohl „Es ist nicht leicht…“ immerhin die Grundidee seiner Vorlage nachvollziehbar transportiert. Bei „Dark Planet“ bleibt von der Vorlage dagegen nicht viel übrig.
Was mich zu einer thematisch verwandten Frage führt: Vieles an den Werken der Strugatzkis ist eng an den politischen und gesellschaftlichen Entstehungskontext angelehnt und auch an die Eigenheiten der Sprache. Da sind wir Deutsche im Nachteil, die wir fast immer mit den Kontexten angloamerikanischer Literatur vertrauter sind. Wie groß ist letzten Endes der Übertragungsverlust von Literatur, die z.B. einen völlig anderen Humor aufweist?
HR: Das hängt ein wenig von der Qualität der Übersetzung ab, deshalb bin ich ja so froh, dass die Strugatzki-Texte im Vorfeld der Heyne- bzw. Golkonda-Ausgabe noch einmal gründlich durchgesehen und ergänzt wurden. Außerdem liefert Erik Simon im Rückgriff auf russische Vorarbeiten einen knappen, einleitenden Kommentar, und zusammen mit den Nachworten von ihm und von Boris Strugatzki erschließt sich auch uns Westeuropäern diese Welt. Ehemalige DDR-Bürger finden da möglicherweise leichter einen Zugang, aber grundsätzlich sucht man in der Literatur ja nicht nur Vertrautes, sondern eben auch Ungewöhnliches, „Exotisches“. Über die finsteren Straßenschluchten von New York wurde schließlich schon genug geschrieben.
SD: Welche Strugatzki-Einstiegslektüre würden Sie einem neugierigen Erstleser empfehlen?
HR: Auf jeden Fall „Ein Gott zu sein ist schwer“ (auch: „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“), ein großartiger satirischer Roman, dann „Der ferne Regenbogen“, eines der anrührendsten Stücke Literatur, die ich je gelesen habe, und natürlich „Picknick am Wegesrand“, neben Lems „Solaris“ DER Klassiker der osteuropäischen SF.
SD: Was halten Sie insgesamt denn so von dem, was derzeit an phantastischen Filmen im Kino läuft? Was war der für Sie beste und was der vielleicht schlechteste SF-Film, den Sie in den letzten Jahren im Kino gesehen haben (… sofern Ihnen die Zeit für’s Kino blieb, bei Ihrem straffen Tagesprogramm)?
HR: Siehe oben — ich gehe selten ins Kino, und auch wenn ich mir gerne einmal in aufwändigen Blockbustern wie „Star Trek“ von J.J. Abrams oder den „Avengers“ von Joss Whedon das Universum in 3D um den Kopf sausen lasse, schaue ich eher Fernsehserien, zur Erholung abends, wenn sonst nichts mehr in den Kopf reingeht. Die meiste „Auszeit“ verbringe ich jedoch mit meiner Jugendliebe, den US-amerikanischen Superheldencomics von DC und Marvel, seien es schöne Nachdrucke der Klassiker aus den 60er und 70er Jahren oder die aktuellen Serien von „New 52“ oder „Marvel Now“.
SD: Was vermutlich meine Schlussfrage vorweg nimmt, nämlich was Sie heute abend beim Heimkommen wohl lesen werden.
Verbleibt mir also nur noch, mich herzlich bei Ihnen für das Gespräch zu bedanken und Ihnen und Ihrem Verlag alles Gute für die Zukunft zu wünschen!
HR: Dankeschön!
Das Interview führte Hendrik Schulthe. Hier Teil Eins des Interviews. Zur Homepage des Verlages geht es hier.
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Quelle: Hendrik Schulthe / SchönerDenken