Gerade gesehen: Hendrik sinniert unsortiert über
„Der Fluch der Karibik 3“
Wer den Abspann des Films mit der bei Großproduktionen mittlerweile üblichen Nennung des kompletten Telefonbuchs einer mittleren Kleinstadt geduldig an sich vorbeiziehen lässt, wird am Schluss damit belohnt, dass er Keira Knightley nochmal eine Minute lang sieht, wie sie aus einem bestimmten Grund von hoher Klippe aus sehnsüchtig weit hinaus auf das Meer schaut. Und mit ihr schaue auch ich Zuschauer zurück auf alle drei Teile der Piratensaga um den faszinierenden Captain Jack Sparrow (alias Johnny Depp), den edlen Will Turner (alias Orlando Bloom) und die schöne Elizabeth Swann (besagte Keira Knightley). Ein fast schon verblüffend leiser Schlusspunkt, denn in den Stunden zuvor wurde das ganz große Kino aufgefahren – aber in verdaulicher Form?
Als bekennender Jack Spa-, Verzeihung, CAPTAIN Jack Sparrow-Fan zähle ich den ersten Film der Saga zu meinen klaren Abenteuerfilmlieblingen. Das ist leichtfüßiges, spannendes, humorvolles und elegantes Erzählkino in seiner besten Form und eine der zu recht erfolgreichsten Wiederbelebungen eines eigentlich vor Jahrzehnten schon totgesagten Filmgenres: eine gute Story, interessante Figuren, eine gute Story, fühlbaren Schwung bei der Umsetzung, gute Effekte, viel Humor, Spannung, etwas Grusel, gute Musik, ach ja, und eine gute Story auch.
Bekanntlich sind heutzutage erfolgreiche Filme stark ansteckungsgefährdet und infizieren sich häufig mit Fortsetzungen – gerade in diesem Sommer offenbar eine der gefährlicheren Entwicklungen direkt nach der Zeckenplage. „Shrek 3“, „Stirb langsam 4.0“ und so weiter – und eben auch der nunmehr dritte Teil von „Fluch der Karibik“, beuntertitelt „Am Ende der Welt“.
Das Grundproblem von Fortsetzungen lautet schlicht: Was wollen wir machen? Und da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man kann die gleiche Geschichte einfach noch einmal eine Nummer größer versuchen (man denke z.B. an „Speed 2“), man kann den Hauptfiguren eine überraschende Wendung mitgeben (wie z.B. bei „Terminator 2“), man kann versuchen, mehr oder weniger plausibel an den Schluss des Vorhergehenden anzuknüpfen und eine neue Story aus den wichtigsten Ingredienzen zu stricken (vgl. u.a. die „Alien“-Reihe), man kann sich – mehr oder weniger freiwillig – selbst parodieren (Hallo „Matrix“) und so fort.
Bei den Teilen 2 und 3 von „Fluch der Karibik“ wurde eigentlich alles gleichzeitig versucht. Ich hoffe, niemand ist auf die Idee gekommen, den aktuellen Teil 3 sehen zu wollen, ohne die beiden vorhergehenden Teile zu kennen, denn das würde im gesamten Verlauf des Films ständiges Einhelfen umhersitzender Wissender erfordern. Im Grunde sind Teil 2 und Teil 3 keine sinnvoll trennbaren Filme, sondern eine Geschichte in 2 filmischen Erzählhälften.
Ich will hier – auch um niemandem vorweg zuviel zu erzählen, denn Teil 3 (oder eben eigentlich 2b) ist ja gerade erst angelaufen – nur wenige Filmdetails wiedergeben, sondern nur meinen Gesamteindruck zusammenfassen. In Telegrammform lässt er sich umschreiben mit „kurzweilig mißraten“.
An anderer Stelle und in Bezug auf Teil 2 habe ich schonmal erläutert, was mich an der Fortführung des genialen ersten Films stört – man stelle sich ein aus drei Gängen bestehendes Menü vor. Der erste Gang ist einfach umwerfend, und entsprechend groß ist die Vorfreude auf den Folgegang. Aber was ist das? Nochmal das Gleiche, nur stärker gewürzt und ein paarmal öfter umgerührt. Und der dritte Gang? Nur eine weitere Kelle aus dem gleichen Topf. Zwangsläufig hinterläßt ein solches Mahl trotz großem Sättigungseffekt einen faden Nachgeschmack.
Kurz – „Fluch der Karibik 2+3“ leidet an dynamischer Unwucht:
An Story wurde soviel Hin und Her hineingepackt, daß es sich zuweilen selbst aushebelt und die Plausibilität im Beiboot auf dem offenen Meer ausgesetzt scheint. Dadurch wirkt die Geschichte – ursprünglicher Aufhänger von Teil 3 ist ja die Rettung Sparrows – sehr rasch völlig beliebig, und in solch einem dramaturgischen Eintopf versinkt so manch gutes Beiwerk. Die Teilhandlung um den in Teil 2 neu eingeführten Bösewicht Davy Jones wird halbwegs gradlinig weitergeführt, aber die begehrockten Gentlemanbösewichte auf den Linienschiffen wirken eher wie Dösewichte und sind damit als Gegenspieler der Piraten eigentlich weitestgehend unbrauchbar. Die ohnehin vage Umdeutung der Freibeuter zu Freiheitskämpfern geht irgendwann ohne Salut von Bord.
An Captain Jack Sparrow wurde ebenfalls teilweise zuviel hineingepackt. Die Visualisierung seiner Innenwelt (auf welchem Wege, verrate ich mal nicht) ist im Konzept interessant und zunächst ganz kurzweilig, aber spätestens in der zweiten Filmhälfte war’s mir einfach zu blöd und für mich bereits jenseits der Grenze zur Selbstparodie. Arme Figur – aber Deinen Vater kennenzulernen war dafür echt mal interessant (netter Cameo-Auftritt eines echten Strolling Bone übrigens).
Von der Figur Sparrow ist man ja die gelegentlichen Humoreinlagen gewöhnt, aber im letzten Teil wurde offenbar figurenübergreifend jede mehr oder weniger gute Idee bis hin zum Slapstick allzu gnadenlos eingebaut. Mir jedenfalls ging z.B. irgendwann das Äffchen ganz gehörig auf die Nerven. Und wenn es dann irgendwann mit brennendem Hintern aus der Kanone geschossen wird, verursacht das in mir zwar kurzzeitig die Hoffnung, es werde jetzt endgültig verschwunden bleiben, aber insgesamt erinnern mich solche Einlagen doch eher an „Police Academy“.
Wenigstens mit der Romantik wurde recht kompetent agiert. Zwar wirken die in Teil 2 anmoderierten Entscheidungsnöte Elizabeths rasch auch nicht mehr so recht wahrhaftig, aber dafür gibt es ja noch jene andere, etwas dunklere Liebesgeschichte – einer der genießbareren Brocken Fantasy, der in den Topf geworfen wurde (zumal Calypso bei mir klare Gewinnerin in punkto Knusprigkeit gegenüber der etwas blassen Knightley ist). Und allzu breit ausgewalzt wurde das Ganze auch nicht. Einzig und allein störend war für mich der hintangehängte Schluss – und sei es nur, weil sich da jemand ganz offensichtlich das Türchen für Teil 4 offengelassen hat.
Die Schiffbruch-Bay hat mich recht ungücklich an eine Mischung aus Lothlórien und einem Tannenbaum erinnert. Auch die Mannschaft von Jones wirkt wie ein Rudel Orks, die man als Muschelbänke mißbraucht hat, aber ansonsten läßt sich über Tricks und Hintergründe nicht meckern: handwerklich unangreifbar, trotz solcher gelegentlicher Möglichkeitenbesoffenheiten. Wer bereit ist, doofe Fragen wie „Wie kann DAS denn jetzt sein?“ zu kielholen, kann zwei herrliche Stunden verleben.
Insgesamt waren wir uns beim Verlassen des Kinos einig: „kurzweilig mißraten“. Die Macher der Teile 2+3 verstehen offensichtlich ihr Handwerk, sie hatten nur keine Ahnung, wo sie insgesamt eigentlich hinwollten. Und so dümpelt das Ganze in spektakulärer Weise von hier nach da, beginnt als Epos, touchiert gelegentlich die Selbstparodie, spielt mal ein paar Minuten lang ‚Sindbad und die Seeräuber‘, sammelt sich wieder, verspricht, JETZT ABER wieder einen kernigen Abenteuerfilm zu geben, verirrt sich kurz in Effekten, albert wieder herum, epelt danach noch etwas und verebbt in Unlogik. Aber alles auf durchaus unterhaltsame Weise, da gibt’s nix.
Trotzdem: Jemand hätte vielleicht fünf Minuten nach Beginn der Dreharbeiten zu Teil 2 zu den Produzenten gehen und sagen sollen: „Wenn Sie auf den idealen Moment gewartet haben, diese Sache wirklich glorreich zu beenden – das war er gerade.“
Savvy – klar soweit?