THE SUBSTANCE: Coralie Fargeat geht dahin, wo es wirklich wehtut. Und einen Schritt weiter.

Margaret Qualley in THE SUBSTANCE @ polyfilm Universal Pictures, Working Title Films, MUBI

Margaret Qualley in THE SUBSTANCE © Universal Pictures, Working Title Films, MUBI

Folge 1312 – Das letzte Drittel von THE SUBSTANCE ist derart intensiv, dass alles, was davor passiert, in der Erinnerung schnell verblasst. Und das ist das eigentliche Problem dieses Films. Coralie Fargeat erzählt die Geschichte der erfolgreichen Hollywood-Größe Elizabeth Sparkle – inklusive Stern auf dem Walk of Fame. Elizabeth (Demi Moore) wird ausrangiert, einfach nur, weil sie die magische Grenze von 50 Jahren erreicht hat. Obwohl sie im Rahmen der biologischen Möglichkeiten das Schönheitsideal des Showbusiness noch erfüllt und als sportliche Aerobic-Queen wie einst Jane Fonda eine eigene Sendung hat, soll sie durch eine viel Jüngere ersetzt werden. Fargeat inszeniert das mit Froschaugenoptik und unappetitlichen Nahaufnahmen – zum Beispiel wenn Dennis Quaid Garnelen verschlingt, während er Elisabeth den Karrieretod verkündet. Aber es gibt einen Ausweg: Die Substanz. Einmal aktiviert, schlüpft aus dem Rücken von Elizabeth eine junge, sexy Version von ihr – Sue (Margaret Qualley). Und hier kippt der bislang so sehenswert inszenierte Film in ein unsubtiles Duell zwischen Jung und Alt. Denn die wundersame Verjüngung funktioniert nur, wenn Regeln eingehalten werden und gerade Sue bricht die Regeln – mit monströsen Folgen.

Coralie Fargeat wirft sich mit Schwung und einer unübersehbaren Freude an ekligen Details in das Body-Horror-Genre, sichtlich bemüht Vorbilder wie DIE FLIEGE von Cronenberg oder DER ELEFANTENMENSCH von Lynch hinter sich zu lassen und zumindest quantitativ zu übertreffen. Aus einer prunkvollen Silvesterfernseh-Gala wird eine derart magenumdrehende Freakshow, dass alles, wirklich alles, was Fargeat jenseits des Gores im Film aufgebaut hat, der feministische Ansatz, der Umgang mit dem male gaze, das alles wird von mehreren tausend Litern Kunstblut weggeschwemmt. Sie geht dahin, wo es richtig wehtut und dann noch einen entschiedenen Schritt weiter. Auf der einen Seite mochte ich den Stilwillen und den schwarzen Humor, auf der anderen Seite war mir tatsächlich schlecht nach dem Kino. In diesem Zustand haben wir direkt nach dem Film unseren Podcast aufgenommen und ich war der einzige, der ein gutes Haar am Film gelassen hat. Unter anderen haben wir den Film mit TITANE von Julia Ducournau verglichen, der allerdings viel komplexer und subtiler ist. Am Mikrofon diesmal: Heidi, Tom, Peter und Thomas.


Folge 1312
Unser erster Eindruck von THE SUBSTANCE

Länge: 05:53


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Bild: © 2024 polyfilm Universal Pictures, Working Title Films, MUBI
Musik: Johannes Klan


The Substance
UK 2024, 141 Min., Buch und Regie: Coralie Fargeat


Andere Meinung

„Es stellt sich gegen Ende ein gewisses „Wir haben schon verstanden“-Gefühl ein, wenn alles in Blutfontänen endet, immer noch eins auf den Ekelfaktor und die Grotesquerie drauf gesetzt wird. Und das so sehr, dass es den vorherigen Pointenreichtum ein Stück weit vergessen macht. Als feministischer Bodyhorrorfilm und Bodyhorror im Allgemeinen ist The Substance eine 10 von 10. Als Filmerlebnis fällt er aber gegen Ende stark ab, weil er eben kein Ende findet. Und das, obwohl er einen fast perfekten Kreis beschreibt. Wir müssen auf unserer Seite sein, uns nicht selbst zum Feind machen, indem wir uns nie gut genug sind.“
Miss Booleana

„Wenn in The Substance Moores und Qualleys Körper nebeneinander und nacheinander zu sehen sind, werden sie stets als konkurrierend angelegt, in einem Kampf, den der ältere Körper aufgrund seiner Ausgrenzung von Beginn an bereits verloren hat. Die Elisabeths selbst blicken nicht hinter die Fassade, werden nicht zu Kritikerinnen ihres Systems, sondern zu bereitwillig mitspielenden Opfern, die an ihm zugrunde gehen müssen, nur um den männlichen Gatekeepern zu gefallen. Dieser voraussehbaren Abwärtsspirale gilt es, lange zwei Stunden zu folgen. Das macht mitunter mürbe und kann nicht mehr als zum repetitiven Spiegel der endlosen, sattgesehenen Oberflächen unserer Gesellschaft werden. Weder Satire noch Body-Horror haben hier den Auftrag noch das Vermögen über die Fassade hinweg Tiefe oder eben wirkliche Substanz zu erzeugen.“
Bianca Jasmina Rauch für Filmlöwin


Trailer