ONE OF THESE DAYS: Die Kinder des Kapitalismus

Joe Cole als Kyle in ONE OF THESE DAYS © Weltkino 2020


Kyle (Joe Cole) ist einer der Verlierer, er arbeitet hart, wenn er einen Job findet, seine Freundin ebenso. Aber sie kommen im texanischen Nirgendwo kaum über die Runden. Als sein alter Wagen den Geist aufgibt, schämt er sich zu sehr, um es zuzugeben. Ein Mann, der sich noch nicht einmal ein Auto leisten kann? Der Kapitalismus lässt seine Kinder vielleicht verhungern, aber er hat immer eine trügerische Hoffnung im Angebot: Ein Autohändler verschenkt einen nagelneuen Pickup an den Mann oder die Frau, die am längsten ununterbrochen die Hand am Auto halten kann – ohne Schlafpausen. Es kommen diejenigen, die keine andere Chance mehr sehen, es kommen diejenigen, die eine ganze glückliche Zukunft in dieses Auto projezieren. Und während die Armen und Verzweifelten Tag und Nacht am Auto stehen, sind sie die Attraktion für die Schaulustigen, die diese Demütigung (noch) nicht nötig haben. Oft gibt es gar keine Zuschauer, außer ihrer Betreuerin Joan (Carrie Preston). Das sind dann die dunkelsten und einsamsten Momente. Regisseur Bastian Günther inszeniert dieses Kammerspiel rund um den Pickup in intensiven Einstellungen, wir sind den Menschen und ihrer Traurigkeit sehr nah. Und am Ende beginnt der Film für ganz besondere 20 Minuten noch einmal von vorne …

Johanna und Thomas haben den Film im CAPITOL gesehen – in Anwesenheit des Regisseurs Bastian Günther, der erklärte, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht und erinnerte das Publikum an den Film „They shoot horses, don’t they?“ von Sydney Pollack (1969), der einen Tanzmarathon zeigt, bei dem das letzte noch tanzende Paar gewinnt – auch hier eine Demütigung und Entwürdigung der Hoffnungslosen, eine Entmenschlichung und Degradierung zur Attraktion. Günther zeigte sich glücklich darüber, dass Robert Altman den Stoff dann doch nicht – wie ursprünglich beabsichtigt – verfilmt hat. Günther, der auch das Drehbuch geschrieben hat, ging im Gespräch auch auf die Szene ein, in der Kyle von der Polizei als potentieller Krimineller eingestuft wird, nur weil er zu Fuß unterwegs ist – einem Teammitglied war es während der Dreharbeiten tatsächlich passiert. Durch die Pandemie war der Start des Filmes auf dem Sundance-Festival 2020 kurzfristig abgesagt worden. Jetzt ist er in die Kinos gekommen. Als Koproduktion mit dem Hessischen Rundfunk, dem Saarländischen Rundfunk und ARTE wird der Film später in den Fernsehsendern der ARD, auf ARTE und in der ARD Mediathek zu sehen sein. Direkt nach dem Film sprechen Johanna und Thomas vor dem CAPITOL über die düstere Stimmung, die beeindruckende Inszenierung der Autos, lens flares, Autofriedhöfe und sprechende Pickups und sind sich einig: ONE OF THESE DAYS ist sehr ernst und sehr, sehr sehenswert.


Folge 1146
Der erste Eindruck von ONE OF THESE DAYS
Länge: 10:58


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WICHTIG: Wir haben ONE OF THESE DAYS im Programmkino Capitol&Palatin in Mainz gesehen, sehr viele SchönerDenken-Episoden zu anspruchsvolleren Filmen sind vor diesem Programmkino aufgezeichnet worden. Dieses Kino ist die Grundlage der Kinokultur in Mainz: Das Programm ist hervorragend kuratiert – besondere Filme aus vielen unterschiedlichen Genres und Nationen, immer wieder auch in Originalsprache, dazu viele Veranstaltungen. Dem Programmkino Capitol&Palatin droht durch ein Gebäudekauf durch ein großes Immobilienunternehmen die Schließung. Mehr Informationen gibt es hier und hier. Eine Petition zum Erhalt dieses wichtigen Kinos gibt es hier. Bitte unterstützen!


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)
Bild: Filmszene aus ONE OF THESE DAYS © Weltkino 2020
Musik von Johannes Klan


One Of These Days
D, 2020, 121 Min., Buch und Regie: Bastian Günther


Trailer