ROTER HIMMEL: Das Leichte und das Schwere des Sommers

Thomas Schubert und Paula Beer in ROTER HIMMEL © Christian Schulz, Schramm Film Piffl Medien

Thomas Schubert und Paula Beer in ROTER HIMMEL © Christian Schulz, Schramm Film Piffl Medien

Es hätte eine wunderbare Sommerzeit am See sein können, aber Leon ist, wie Johanna sagt, ein schwarzer Block negativer Energie. Es ist schon fast ein running gag, dass Leon (Thomas Schubert) eine Gelegenheit nach der anderen auslässt, das Leben zu genießen, vielleicht sogar Liebe zu erleben. Christian Petzold wiegt uns dabei lange in Sicherheit: Drei junge Männer, zwei davon Künstler und eine junge Frau, in einer ländlichen Idylle in der sommerlichen Hitze, es wird geredet, geraucht und getrunken, nachts wird sich geliebt oder Federball mit leuchtenden Schlägern gespielt – natürlich nicht von Leon 🙂 Dazu sehr gut ausgewählte Songs. Aber Leon sieht nichts außer seinen eigenen Problemen – nicht die Gefühle der Menschen um ihn herum, nicht ihre Nöte, auch nicht den immer näher kommenden Waldbrand.

Aus einer psychologisch feinen französischen Sommerkomödie heraus entwickelt Petzold einen sich steigernden Sog, der uns ganz langsam aber unaufhaltsam in eine Tragödie führt. Petzold betreibt für seinen konzentrierten, reduzierten Film dabei wenig mehr Aufwand als für einen studentischen Abschlussfilm – und das ist gut so. Er kann sich auf ein großartiges Schauspielensemble verlassen: Paula Beer, Thomas Schubert, Matthias Brandt, Langston Uibel und Enno Trebs. Ein schöner, leichter und zugleich schwerer, ein sehr sehenswerter Film. Den Üblichen Verdächtigen fällt es gar nicht so leicht, direkt nach dem Film über ROTER HIMMEL zu sprechen. Am Mikrofon vor dem Capitol-Kino: Johanna und Thomas.


Folge 1206
Unser erster Eindruck von Christian Petzolds ROTER HIMMEL
Länge: 12:43


WICHTIG: Wir haben ROTER HIMMEL im Programmkino Capitol&Palatin in Mainz gesehen. Dem Programmkino Capitol&Palatin wird nach einem Gebäudekauf durch ein großes Immobilienunternehmen am 28. Oktober 2023 schließen. Mehr Informationen gibt es hier und hier. Eine Petition zum Erhalt dieses wichtigen Kinos gibt es hier. Bitte unterstützen! Wir haben in Capitol&Palatin sehr viele großartige Filme gesehen, sehr viele SchönerDenken-Episoden zu anspruchsvolleren Filmen sind vor diesem Programmkino aufgezeichnet worden. Dieses Kino ist die Grundlage der Kinokultur in Mainz: Das Programm ist hervorragend kuratiert – besondere Filme aus vielen unterschiedlichen Genres und Nationen, immer wieder auch in Originalsprache, dazu viele Veranstaltungen. Wir appellieren an die Verantwortlichen der Stadt Mainz, dieses Kino zu retten!


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Bild: © 2023 Christian Schulz, Schramm Film Piffl Medien
Musik: Johannes Klan


Roter Himmel
D 2023, 103 Min., Buch und Regie: Christian Petzold


Andere Meinungen

„Es ist ein wenig wie in Eric Rohmers Bezie­hungs­reigen, in Pauline am Strand oder Sommer, durch die Petzold auch inspi­riert wurde, und es ist ein wenig Shake­speares Sommer­nachts­traum und Goethes Wahl­ver­wandt­schaften – zwei Paar­kon­stel­la­tionen treffen aufein­ander und die Bezie­hungs­dy­na­miken verwun­dern und verwan­deln sich. Ist das bei Goethe zum Schlechten, gerät es bei Petzold zum Guten, sehen wir hier jungen Menschen, die wohl bald dreißig werden, bei ihrem späten Coming-of-Age zu, ist das natürlich auch klas­si­scher Bildungs­roman.“
Axel Timo Purr für artechock

„Petzolds (nach Undine) zweite explizite Beschäftigung mit der Romantik fällt deutlich kritischer aus: Deswegen läuft die Verbindung über Heinrich Heine, der von Nadja am Esstisch rezitiert wird, wie nur Paula Beer rezitieren kann. Heine, der aus der Romantik kommend die Romantik überwand, nicht mehr die Liebe in den Gedichten, sondern ihre Repräsentationen selbst erschütterte. Die Romantik als Funke für eine Jahrhunderte schwelende Glut, die hier als Feuer sichtbar wird, aber ohne dass die Idee eines neuen Funkens verabschiedet werden müsste. Wie Petzold vergangene Kunstproduktion in seinen Film holt, um zu fragen wie die heutige gehen könnte, wie er den Blick in die Geschichte wagt, um die Möglichkeiten des eigenen Blicks auszuloten, vor dieser künstlerischen Krise steht, ohne vor ihr zu kapitulieren, aber auch ohne sie einfach zu lösen: Das ist die kaum zu überschätzende Bedeutung von Roter Himmel.“
Jonas Nestroy für critic.de

„Es ist kein Zufall, dass Christian Petzold den Film mit In My Mind beginnt. Der verträumte, zärtlich pulsierende Song der Wallners legt sich direkt in den ersten Minuten über Roter Himmel, wenn wir in den Wald fahren, wo sich das Ferienhaus von Felix‘ (Langston Uibel) Familie befindet. Der Song eröffnet den Film mit einem geteilten Gefühl von Sehnsucht und Geborgenheit. Ein einnehmender Sound, der alle Ecken des Klangraums mit Wärme erfüllt und trotzdem durchblicken lässt, dass noch nichts vollkommen ist.“
Matthias Hopf für Das Film Feuilleton

„Petzold ist ein Meister in seinem Fach, das beweist er einmal mehr mit Roter Himmel. Er verzichtet auf eine nacherzählbare Handlung und beschreibt filmisch seine Charaktere, und das genügt – weil Petzold eben doch sehr viel zu erzählen hat, über die Bilder, über die Körper seiner Figuren, über deren Blicke, über die kleinen Nebenbei-Genreeinsprengsel von Komödie über Drama bis Horror, die er einstreut, ohne sie auszustellen.“
Harald Mühlbeyer für kino-zeit.de


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