
Szene aus SEPTEMBER 5 © 2024 Constantin Film
Folge 1330 – Nachrichtenjournalist:innen entscheiden oft unter enormen Zeitdruck – es gibt zu wenig Informationen und viel zu wenig Zeit, um eine „richtige“ Entscheidung zu treffen. Dieses Dilemma der Aktualität, der Rausch der Atemlosigkeit, das ist das Thema von Tim Fehlbaums Film SEPTEMBER 5. Der Film schildert konsequent aus der Perspektive der ABC-Sportnachrichtenredaktion die Geschichte des Olympia-Attentats in München 1972, der Geiselnahme und Ermordung der jüdischen Sportler. Während das Team auf der einen Seite einfallsreich sein muss, um Live-Bilder des Geschehens zeigen zu können, brechen auf dem Flur hinter dem Regieraum Diskussionen zwischen den Verantwortlichen auf: Dürfen wir eine Erschießung live übertragen? Helfen die Live-Bilder der Terroristen, weil die Aktionen der Polizei zu sehen sind? Müssen wir wirklich auf eine zweite Bestätigung für die breaking news warten?
Tim Fehlbaum gelingt es, die 21 Stunden der weltweit ersten Liveübertragung eines Attentats fast komplett im dunklen Regieraum zu zeigen, als Kammerspiel vor einer Wand von Monitoren, so atemlos im Rausch der aktuellen, sich überschlagenden Ereignisse, dass dem Publikum die 90 Minuten Laufzeit vorkommen wie 30 Minuten. Fehlbaum hat als Regisseur hinter der Kamera einen Regisseur vor der Kamera im Regieraum stehen – das ergibt eine Menge dramaturgischer Möglichkeiten, die er sehr geschickt nutzt. Botenberichte zum Beispiel, über Telefon, über das Radio, Schnitt über Anweisungen am Regiepult, entscheidende Szenen über einen Monitor, die Gleichzeitigkeit der Ereignisse über mehrere Monitore im Bild. Bewundernswert, dass in der knappen Lauflänge weitere Motive Platz finden: die deutsche Vergangenheit oder dass Frauen nicht ernst genommen werden. Ganz stark übrigens Leonie Benesch als Übersetzerin, die mehrmals die Initiative ergreift.
Im Podcast direkt nach dem Film diskutieren wir unter anderem, wie der Film damit umgeht, dass die Berichterstattung für 900 Millionen wichtiger ist als die Sorge um die Geiseln und die Meinungen gehen bei uns durchaus auseinander, was denn die eigentliche Aufgabe der Journalist:innen ist. Schaut Euch den Film auf jeden Fall im englischsprachigen Original an. Am Mikrofon direkt nach dem Kino: Bettina, Katharina, Kathrin und Thomas.
P.S. Wer sich für Journalismus im Film interessiert, sollte einen Blick werfen auf journalismusfilme.de von Patrick Torma, auch mit einer Filmkritik über September 5. Die Podcastreihe Himmelfahrtskommando in der ARD Audiothek erzählt die Geschehnisse aus der Perspektive eines Polizisten.
Folge 1330
Unser erster Eindruck direkt nach dem Kino von SEPTEMBER 5
Länge: 14:45
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Bild: © 2024 Constantin Film
Musik: Johannes Klan
September 5 (September 5 – The Day Terror Went Live)
D 2024, 91 Min., Regie: Tim Fehlbaum
Trailer