THE NIGHT OF THE HUNTER: Der Wolf im Pelz des Predigers

Folge 1085
Lucas und Thomas sind begeistert von Charles Laughtons einziger Regiearbeit THE NIGHT OF THE HUNTER, USA 1955
Länge: 01:08:41


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Vor vielen Jahren hatte Thomas THE NIGHT OF THE HUNTER von einem sehr guten Freund geschenkt und empfohlen bekommen, aber erst einmal auf den Stapel gelegt. Jetzt endlich traut er sich mit der Unterstützung von Kinomensch Lucas Barwenczik von Longtake an den Film heran: Ein düsterer Thriller von 1955, der mit seiner mutigen Bildsprache gar nicht in die 1950er Jahre passen will. Ein Thriller – basierend auf wahren Begebenheiten: Der Protagonist Harry Powell beruht auf dem Leben des Mörders Harry Powers. Dominiert wird der Film von Robert Mitchum in der Rolle des Harry Powell, der sich an die Witwe eines Kleinganoven heranmacht, um an dessen letzte Beute – 10.000 Dollar – heranzukommen. Nur die beiden Kinder der Witwe, John und Pearl, kennen das Versteck des Geldes und bald jagt Harry Powell die Kinder und tötet jeden, der sich ihm in den Weg stellt.

Der Film spielt zur Zeit der Depression: Die Erwachsenen haben versagt, im wahrsten Sinne des Wortes eine Bankrotterklärung abgegeben. Der Vater weiß sich nicht mehr anders zu helfen als Geld zu rauben und wird hingerichtet. Er hinterlässt zuvor John mit der Beute eine untragbare Bürde. Die Mutter wirft sich dem Mörder Powell an den Hals und verschwindet. Aber John kämpft und flieht mit der Beute und seiner kleinen Schwester durch Ohio und wird von Harry Powell gejagt, der nicht abzuschütteln ist.

Lucas und Thomas sind beeindruckt von der Kraft, die der Film auch nach 65 Jahren noch entfaltet. Charles Laughton wirft alles in seinen Film hinein, setzt viele visuelle, optische Einfälle um mit seinem sehr starken Kameramann Stanley Cortez. Landschaftsaufnahmen, Luftaufnahmen aus dem Helikopter und bühnenhafte Studiokulissen verschmelzen ineinander: Licht- und Schattenwürfe wie im Film noir und Räume wie im Expressionismus (Schlafzimmer wie Kircheninnenräume!) erzeugen die gruselige Atmosphäre.

Robert Mitchum spielt ungebremst auf und erweckt den psychopathischen Serienmörder, der als Prediger die bigotten Bürger an der Nase herumführt, zum Leben. Hier sehen wir die Vorlage für die charismatischen Serienmörder, die ab den 1990er Jahren mit dem SCHWEIGEN DER LÄMMER sehr populär werden. Powells LOVE HATE-Tätowierung wird zur popkulturellen Ikonographie und in den Filmen DO THE RIGHT THING, BLUES BROTHERS, THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW und den SIMPSONS aufgegriffen.

Lucas und Thomas diskutieren über Harry Powells Lust am Töten – nur der Mord scheint ihn zu erregen. Sie reden über Westernelemente und den Stummfilmstar Lillian Gish und darüber, wie der Film subtile und ausgesprochen unsubtile Elemente verknüpft, über Charles Laughtons Bibelrezitationstournee, über Nosferatu und einen Mob mit Fackeln und Mistgabeln, über Schuld, Unschuld und Verantwortung und vor allem über Calvinismus, Raubtierkapitalismus und Fordismus. Die beiden freuen sich über den Exorzismus durch Kirchenlieder (und beide erinnern sich dabei an YOU WERE NEVER REALLY HERE von Lynne Ramsay) und diskutieren über ein beeindruckendes Detail: die Faust in der Tasche, die den Stoff zerreisst, wenn der Mörder sich für ein Opfer entschieden hat. Wir wünschen viel Spaß bei einer guten Stunde mit Lucas, Thomas und einem dämonischen Mörder.

Diesen Film haben auch die Filmexperten von Ein Filmarchiv und Archivtöne besprochen – siehe die Podcasttipps weiter unten.


Über unseren Gast

Der Filmkritiker Lucas Barwenczik ist bekannt als Podcaster bei cuts und Kulturindustrie, er schreibt für kino-zeit.de, den Filmdienst, Filmstarts und auf Twitter ist er zu finden unter @kinomensch. Dass er alle Filme, die jemals gedreht worden sind, gesehen haben soll (zwei Mal!), ist natürlich nicht wahr – aber es fühlt sich so an 🙂 Seit wir 2017 gemeinsam im TEE Rheingold unterwegs waren, ist Lucas ein häufiger und besonders lieber Gast von SchönerDenken. Hier alle Episoden von SchönerDenken, bei denen Lucas zu Gast war – viele gemeinsame Episoden haben wir auf dem japanischen Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt am Main aufgenommen.


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken (Direkter Download der Episode über rechte Maustaste)
Musik von Johannes Klan

Die Nacht des Jägers (The Night of the Hunter)
USA 1955, 89 Min., Regie: Charles Laughton


Die Episode auf YouTube


Der Trailer


Podcast-Tipps

„Laughton nutzt seine Kenntnis der Theater-Regie, um Mitchum im Brecht‘schen Sinne verfremdet auftreten zu lassen: laut, sich Bühnenhaft ausstellend, ein Prediger als Performance-Künstler, der uns als Zuschauer unsere Rolle reflektieren lässt. Ähnlich arbeitet er mit seinen visuellen Strategien, die mit Realitätsversprechen kaum noch etwas zu tun haben. Ganz großes Kino, das uns begeistert zurücklässt.“
Podcast-Episode 109 von Ein Film-Archiv

„Für die Challenge „Ein Film, der dich visuell beeindruckt hat“ haben wir zwei der schönsten Filme ausgesucht, die wir kennen. Den Anfang macht Charles Laughtons Thriller The Night of the Hunter (1955), der ein unverwechselbares Bild an das nächste reiht und uns mit seiner sphärischen Optik einen kalten Schauer über den Rücken jagt.“
Podcast-Episode 25 von Archivtöne

Lese-Tipp

„Der Film ist deshalb in all seiner Radikalität derart grauenerregend, weil er aus der Sicht der Kinder geschildert wird, denen kein Erbarmen zukommt und weil all das, was die menschliche Urängste wach werden lässt, auf eine derart unspektakuläre Weise geschieht, als wäre es der morgendliche Gang zum Frühstückstisch. Beim Spielen wird eine Frauenleiche auf der Treppe gefunden, im schummerigen Licht einer Straßenlaterne zeichnet sich während einer Märchenerzählung der Schatten des Bösen an der Zimmertapete ab, in gespenstischen Unterwasserbildern sind die Haare einer Toten nicht von den sich auf dem Grund befindlichen Algen zu unterscheiden. In all seiner Eigenwilligkeit ist The Night of the Hunter bemerkenswert, der in seiner Morbidität Erinnerungen an den Expressionismus wachruft und dadurch eine Aura des Unwirklichen, Traumhaften entfaltet – ein Surrealismus, der durch die kräftige Beleuchtung und die hervorragenden Darsteller seine gesamte Magie entfaltet.“
Stephan Eicke für film-rezensionen.de