DECISION TO LEAVE (DIE FRAU IM NEBEL): Unerfüllte Sehnsucht

Park Hae-il und Tang Wei Park Chan-wooks Film DECISION TO LEAVE © 2022 CJ ENM Co., Ltd., MOHO FILM. ALL RIGHTS RESERVED

Park Hae-il und Tang Wei in Park Chan-wooks Film DECISION TO LEAVE © 2022 CJ ENM Co., Ltd., MOHO FILM. ALL RIGHTS RESERVED

Ein Krimi, ein film noir, eine Liebesgeschichte, ein Melodram, eine Komödie, voller Bezüge zum US-Schwarzweisskino der 1940er und 1950er Jahre – und doch ist Park Chan-wooks Film etwas ganz eigenes, etwas einzigartiges. Typisch für einen film noir ist die Kombination des Polizisten, der versucht das Richtige zu tun, und der charismatischen femme fatale, die unter Verdacht steht. Der Polizist Hae-jun (Park Hae-il) glaubt, dass die Witwe Seo-rae (Tang Wei) ihren Mann ermordet hat. Während er der Wahrheit näher kommt, kommt er auch der aus China stammenden Seo-rae immer näher. Die kleinen Gesten, die Wortwechsel, die koreanisch-chinesischen Sprachspiele, die Perspektiven – Chan-wooks Inszenierung ist einfallsreich und überraschend und gibt der Geschichte eine enorme Intensität.

Im Podcast direkt nach dem Film sind die Üblichen Verdächtigen sehr beeindruckt und diskutieren über Ameisen auf der Kameralinse, über grafische, konstrastreiche Bilder, über das Flimmern zwischen den Genres, über brillante, komische Momente, über eine enorme emotionale Präsenz, über die großartigen Darsteller, über die Inszenierung und Mehrdeutigkeit des Essens und des Kochens, über die Liebe zu allen Figuren, über Handcreme, Bratäpfel und Jackentaschen. Alle wollen den Film noch einmal sehen. Am Mikrofon direkt nach dem Film vor dem Capitol-Kino: Katharina, Johanna, Heidi und Thomas.


Folge 1183
Unser erster Eindruck von DECISION TO LEAVE direkt nach dem Kino
Länge: 12:40


WICHTIG: Wir haben DECISION TO LEAVE im Programmkino Capitol&Palatin in Mainz gesehen, vielleicht war es das letzte Mal, das wir hier einen Film sehen konnten. Dem Programmkino Capitol&Palatin droht nach einem Gebäudekauf durch ein großes Immobilienunternehmen die Schließung. Mehr Informationen gibt es hier und hier. Eine Petition zum Erhalt dieses wichtigen Kinos gibt es hier. Bitte unterstützen! Wir haben in Capitol&Palatin sehr viele großartige Filme gesehen, sehr viele SchönerDenken-Episoden zu anspruchsvolleren Filmen sind vor diesem Programmkino aufgezeichnet worden. Dieses Kino ist die Grundlage der Kinokultur in Mainz: Das Programm ist hervorragend kuratiert – besondere Filme aus vielen unterschiedlichen Genres und Nationen, immer wieder auch in Originalsprache, dazu viele Veranstaltungen. Wir appellieren an die Verantwortlichen der Stadt Mainz, dieses Kino zu retten!


Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Bild: © 2022 CJ ENM Co., Ltd., MOHO FILM. ALL RIGHTS RESERVED
Musik: Johannes Klan


Decision To Leave (Haeojil gyeolsim / Frau im Nebel)
Südkorea 2022, 138 Min., Regie: Park Chan-wook


Andere Meinungen

„Die Frau im Nebel ist im besten Sinne der klassische Hollywoodkrimi von Otto Preminger (Laura) über Billy Wilder (Frau ohne Gewissen) bis Alfred Hitchcock (Vertigo) neu gedacht. Auch das legendäre Leinwandpaar Humphrey Bogart und Lauren Bacall (Tote schlafen fest, Haben und Nichthaben) kommt einem nicht nur einmal in den Sinn, inbesondere bei den humorvolleren Szenen (das Sushi-Essen während des Verhörs ist schon jetzt einer meine Lieblingsszenen des Jahres). Die Verehrung dieser alten, zeitlosen Hollywood-Kriminalgeschichten mit ihren Doppelbödigkeiten, ihren verführerischen Femmes fatales, verzweifelten Protagonisten und ihrer stark romantischen visuellen Form durchzieht Park Chan-wooks Detektivromanze von Anfang bis Ende. Trotzdem jedoch, und das rechne ich ihm sehr hoch an, denkt Park Chan-wook sämtliche Genrekonventionen- bzw. Vorbilder komplett neu und hat hiermit einen durchgehend in seinen undurchsichtigen Bann ziehenden, modernen Krimiklassiker gedreht, wie ich es, selbst vom koreanischen Regieas selbst, nicht erwartet hatte.“
Philippe Paturel für Cinema Forever

„Wir haben Ameisen auf den Augen des Toten krabbeln gesehen, und zwar aus dem Inneren des glasig gewordenen Augapfels heraus. In einer ähnlichen Einstellung schaut die Kamera einmal aus den Eingeweiden eines iPhones auf den SMS-schreibenden Detektiv; seine Finger scheinen auf die Leinwand zu tippen. Eine nächtliche Suche im Wald filmt Kameramann Kim Ji-yong („A Bittersweet Life“, „The Age of Shadows“) aus der Perspektive eines von den menschlichen Passionen ungerührt dahingleitenden Reihers. Die Fackeln leuchten inmitten der Baumkronen wie orientierungslose Glühwürmchen oder wie Geistesblitze im Labyrinth dieses erstaunlichen Films.“
Jan Küveler


Trailer