Folge 1180 – In einer Gesellschaft, in der Frauen nur eine Lebensberechtigung haben, wenn sie die Gesetze der Männer ohne Abweichung befolgen, in einer solchen Gesellschaft wird einem psychopathischen Serienmörder applaudiert, der Prostituierte ermordert. In der als heilig bezeichneten Stadt Mashhad ist Saeed in der Nacht mit seinem Motorrad unterwegs und lauert auf seine Opfer. Die Journalistin Rahimi (beeindruckend: Sahra Amir Ebrahimi) will die Wahrheit über den Spinnenmörder herausfinden und erkennt schnell, dass die Polizei keine große Hilfe ist. Auch bei den Polizisten gelten die Opfer nur als wertlose Junkies und Huren. Als „wertlos“ bezeichnet ein Polizist auch die Journalistin, als er sie in ihrem Hotelzimmer belästigt. Rahimi geht als Lockvogel selbst auf die Straße, bis der Spinnenmörder tatsächlich mit seinem Motorrad vor ihr auftaucht …
Viel stärker als die Thrillerhandlung brennen sich die Szenen ein, die den iranischen Gottesstaat als frauenverachtendes Unrechtsregime zeigen: Frauen dürfen für sich allein kein Hotelzimmer buchen, sie dürfen nicht ohne Kopftuch gesehen werden und wenn sie als Journalistin arbeiten, sind sie ständig Anfeindungen ausgesetzt. Intensiv wird Abbasis Film nach der Festnahme des 16-fachen Mörders: religiöse Gruppen unterstützen den Mörder offen, es gibt Demonstrationen, die ihn als Helden feiern und seine Freilassung fordern, auch viele Menschen in der Nachbarschaft solidarisieren sich mit dem Mörder. Saeed wird sogar eine Befreiung versprochen, nachdem er zum Tode verurteilt wurde.
Abbasis Film beruhrt auf einer wahren Begebenheit und er beschönigt nichts, er zeigt die Verzweiflung und Drogensucht der Prostituierten, er zeigt unangenehm ausführlich die Banalität des Mörders, der sich selbst einredet, einen göttlichen Auftrag zu erfüllen. Die Stadt ist ebenso schmucklos wie die einfache Wohnung, in die Saeed seine Opfer lockt, um sie dann mit ihrem eigenen Kopftuch zu erdrosseln. Nur das nächtliche Mashhad glitzert, aber wenn man genau hinschaut, zeigt uns Abbasi dabei das Netz, das der Spinnenmörder über die Stadt gelegt hat.
Das ernste Thema und die sehr starken Darsteller lenken davon ab, wie sorgfältig und atmosphärisch dicht die Inszenierung ist – und wie großartig der Soundtrack von Martin Dirkov und das Sounddesign sind. Im Podcast direkt nach dem Kino sprechen Johanna und Thomas über die intensive Darstellung des religiös-fanatischen Mörders, über die Situation der Frauen im Iran, über die Unterstützer des Mörders und über ein Bild, das Johanna nicht vergessen wird: Der Mörder auf dem Motorrad, auf dem Rücksitz das bereits ermordete Opfer – mit einem Strick an den Rücken des Mörders gebunden.
„Ich komme aus dem Iran. Dort bin ich geboren und aufgewachsen. Ich muss keine Puppenhausversion des Iran machen. Der Ort, den wir betrachten, Maschhad, ist wie viele dieser größeren Metropolen im Nahen Osten. Sie haben sich in unscheinbare Industriestädte verwandelt, halb Favela, halb Betonwüste mit einigen historischen Gebäuden […]. Sie finden diese Orte in der Türkei, in Jordanien und wahrscheinlich an vielen anderen Orten.“
Regisseur Ali Abbasi über Mashhad
Von Ali Abbasi haben Johanna und Thomas bereits den sehr sehenswerten Film BORDER besprochen.
Folge 1180
Unser erster Eindruck von HOLY SPIDER direkt nach dem Kino
Länge: 15:51
Download der Episode auch über den Feed
Text und Podcast stehen unter der Creative Commons-Lizenz BY-NC-ND 4.0
Quelle: SchönerDenken
Bild: © 2022 Alamode Film
Musik: Johannes Klan
Holy Spider
DK 2022, 119 Min., Regie: Ali Abbasi
WICHTIG: Wir haben HOLY SPIDER im Programmkino Capitol&Palatin in Mainz gesehen, sehr viele SchönerDenken-Episoden zu anspruchsvolleren Filmen sind vor diesem Programmkino aufgezeichnet worden. Dieses Kino ist die Grundlage der Kinokultur in Mainz: Das Programm ist hervorragend kuratiert – besondere Filme aus vielen unterschiedlichen Genres und Nationen, immer wieder auch in Originalsprache, dazu viele Veranstaltungen. Dem Programmkino Capitol&Palatin droht durch ein Gebäudekauf durch ein großes Immobilienunternehmen die Schließung. Mehr Informationen gibt es hier und hier. Eine Petition zum Erhalt dieses wichtigen Kinos gibt es hier. Bitte unterstützen!
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